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Der russische Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodimir Selenski verständigen sich im Paris

Der russische Präsident Wladimir Putin und sein ukrainischer Amtskollege Wolodimir Selenski verständigen sich im Paris – flankiert von Mme A. Merkel & E. Macron – auf eine Wiederbelebung des Friedensplans für die Ostukraine. Bis Ende dieses Jahres soll die Waffenruhe vollständig umgesetzt werden. Ebenso soll es wieder einen Austausch von Gefangenen geben, Truppen abgezogen werden sowie weitere Übergangsmöglichkeiten für Zivilisten entlang der Kontaktlinie.

Kreml-Führung bzw. Russland hat keine Eile

Wohin treibt die Ukraine? 13 Thesen

                                                           Wohin treibt die Ukraine?

Ursachen und Folgen des russisch-ukrainischen Krieges

Vortrag von Prof. Dr. Gerhard Simon

an der Jubiläumsveranstaltung 20 Jahre Forum Ost-West in Bern, den 26. November 2014

13 Thesen

Von Majdan zu Majdan

  1. Im ersten Jahrzehnt der Unabhängigkeit der Ukraine waren die ukrainisch-russischen Beziehungen zwar gespannt, dennoch entwickelte sich in beiden Staaten ein weitgehend ähnliches politisches System: Die Präsidenten konzentrierten möglichst viel Macht und minimierten den Einfluss des Parlaments. Eine unabhängige Justiz blieb allenfalls ein Lippenbekenntnis. Eine der Folgen war die ausufernde Korruption.
  2. Seit der Jahrhundertwende entwickelten sich die politischen Systeme auseinander: In Russland festigte sich ein autoritäres Präsidialsystem, in der Ukraine führte der Versuch von Präsident Kutschma, in die gleiche Richtung zu gehen, zur Orangen Revolution 2004/05.
  3. Die Orange Revolution war das Aufbegehren der Zivilgesellschaft gegen ein korruptes Präsidialregime, das Wahlen fälschte, um einen Machtwechsel zu verhindern. Zwar erreichte die Orange Revolution ihr Ziel. Die Wahlen wurden wiederholt; aber die Sieger waren unfähig, den Erfolg zu nutzen und das Land auf einen neuen Weg zu führen.
  4. Warum gelang es nicht, in der Ukraine eine autoritäre Präsidialherrschaft zu etablieren? Mehrere Ursachen wirkten zusammen: die oft beklagte „Gespaltenheit“ der Ukraine wirkt als Bremse gegen die Errichtung einer Diktatur; die semi-autoritären Strukturen in den 1990er Jahren beließen der Opposition gewisse Freiräume; in Geschichte und Gegenwart lag und liegt die Ukraine näher zu Mitteleuropa, der Freiheitswille ist stärker entwickelt als beim „nördlichen Nachbarn“.
  5. Der Anlass für den Euro-Majdan seit November 2013 war zwar der Protest gegen die Verweigerung der Assoziierung mit der EU, aber sehr bald forderten die Demonstranten den regime change, eine andere, bessere Ukraine, Kampf gegen das korrupte System des Präsidenten, die „Revolution der Würde“. Die Vision von Europa war die Vision von Freiheit, Rechtsstaat und Wohlstand.

Krieg im Donbas. Wer kämpft gegen wen?

  1. Sturz und Flucht von Janukowytsch im Februar 2014 lösten massive Gegenschläge aus: die Annexion der Krim im März  und den Krieg im Donbas seit April.
  2. Unter Ausnutzung anti-ukrainischer Ressentiments bei einer Minderheit der Bevölkerung im Donbas (Gebiete Donezk und Luhansk) wurde ein „Volkssturm“ bewaffnet, der gewaltsam die Macht in Teilen des Donbas übernahm. Dabei wurde die Militarisierung von Anfang an aus Russland gesteuert: durch russische „Spezialeinheiten“, „Freiwillige“, Kommandeure und Waffen. Unter den Kämpfern des „Volkssturms“ spielten Kriminelle eine erhebliche Rolle.
  3. Die ukrainische Armee war anfangs in einem desolaten Zustand. Sie wurde seit April durch den Aufbau einer Nationalgarde verstärkt. Eine große Rolle spielten zahlreiche Freiwilligenbataillone, die teilweise aus dem Donbas stammen. Im August waren die ukrainischen Streitkräfte drauf und dran, die „Separatisten“ aus dem Donbas zu vertreiben. Russland verhinderte das durch den Einsatz regulärer Einheiten ohne Hoheitsabzeichen, die den ukrainischen Streitkräften massive Verluste zufügten und den „Waffenstillstand“ vom 5. September erzwangen.
  4. Der Krieg im Donbas wird von russischer Seite als eine gigantische Geheimdienstoperation geführt. Leugnung und Lüge sind deshalb aus russischer Sicht nicht nur gerechtfertigt, sie sind ein Teil der Operation.

„Die Putin-Doktrin“

  1. : Die  „Putin-Doktrin“ von der beschränkten Souveränität der Ukraine und der anderen Staaten auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion besagt, dass diese Staaten zum imperialen Einflussgebiet Russlands gehören, das de facto ein Veto-Recht in der inneren und äußeren Politik dieser Staaten beansprucht.
  2. Begründet wird dies Recht damit, dass Ukrainer und Russen „ein Volk“ seien und dass die Russländische Föderation historisch und geopolitisch das Recht und die Pflicht habe, das „historische Russland“ wiederherzustellen. Diese Doktrin gleicht der nationalsozialistischen in den 1930er Jahren. Der Krieg im Donbas ist kein einmaliger Sonderfall. Er fügt sich vielmehr ein in das Vorgehen gegen die Moldau und Georgien. Weitere Szenarien in der Zukunft sind denkbar.

Ziele der ukrainischen Politik

  1. In der Ukraine wiederholt sich gegenwärtig das, was vor 25 Jahren in Warschau, Leipzig oder Prag geschah: Die Ukraine löst sich aus der Hegemonie des imperialen Russland. Der Unterschied besteht darin, dass Gorbatschow die Länder Ostmitteleuropas aus der sowjetischen Hegemonie entließ, der erstarkte Putin aber der Ukraine die Trennung von Russland verweigert.
  2. Der Euro-Majdan und der Krieg mit Russland haben das nationale Selbstbewusstsein der Ukrainer gestärkt. Das Land ist heute politisch und militärisch fester gefügt und widerstandsfähiger als vor einem Jahr, jedoch auf die westliche Unterstützung angewiesen und wünscht mehr Zusammenarbeit mit dem „Westen“. Die EU sowie die Schweiz sind an einer demokratischen und prosperierenden Ukraine auch interessiert.

Unbequeme Fragen an Europa

Unbequeme Fragen an Europa

von Roman Berger, Mitglied Forum Ost-West

Die Politik der Eskalation gegen Russland führt in ein Sackgasse

Seit vier Monaten führt die ukrainische Regierung gegen die Separatisten in der Ostukraine Krieg. Die „antiterroristische Operation“, die nach Präsident Petro Poroschenkos Vorstellungen nur „Stunden, höchstens Tage“ hätte dauern sollen, hat inzwischen mehr als tausend zivile Opfer gefordert. Die Anzahl der gefallenen ukrainischen Soldaten und Regierungsgegner kann nur geschätzt werden. Sie ist bestimmt grösser als die Konfliktparteien offiziell zugeben. Hunderttausende Ostukrainer, vor allem Frauen und Kinder, sind auf der Flucht.

Die Grossstädte Lugansk und Donezk sind von der ukrainischen Armee umzingelt. Beim Beschuss von Wohngebäuden wurden durch Raketen und aus Flugzeugen zahlreiche Zivilpersonen getötet. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch protestiert.

Was wollte der Euro-Maidan?

„Ist das die Ukraine, für die wir auf dem Euro-Maidan gekämpft haben ?“ Solche Fragen stellen sich heute Ukrainer. Mit Verwunderung nehmen sie beispielsweise zur Kenntnis, dass in Poroschenkos Regierung drei von insgesamt 20 Ministersesseln weiterhin von Rechtsextremen besetzt sind, obwohl ihre militanten Vertreter (Dmytro Jarosch und Oleh Tjahnybok) bei den Präsidentschaftswahlen zusammen nicht einmal auf zwei Prozent der abgegebenen Stimmen kamen.

Die ukrainischen Wähler haben der rechtsextremen Flanke eine eindeutige Absage erteilt, dennoch weht der nationalistische (Un)- Geist auch in der neuen Regierung in Kiew weiter. So hat sie kürzlich zwei russische Filmproduktionen wegen „Herabwürdigung der ukrainischen Kultur“ verboten. Dazu gehört die TV-Produktion „Die weisse Garde“ (Romanvorlage von Michail Bulgakow). Die gleiche Regierung droht 500 russischen Kulturschaffenden mit einem Einreiseverbot wegen ihrer Unterstützung Putins und ihrer Zustimmung zur Krim-Annexion.  Kiew verfällt dem gleichen postsowjetischen Verbotsreflex, den der Westen mit Recht  Moskau zum Vorwurf macht.

Der Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs über der ostukrainischen Kampfzone hat die Krise zwischen Russland und dem Westen nochmals verschärft.  Obwohl bis heute unklar ist, wer für den Abschuss verantwortlich ist, war Brüssel bereit, im Schulterschluss mit den USA härtere Wirtschaftssanktionen gegen Russland zu verhängen.„Die EU ist keine Quasselbude“ stellt die NZZ mit Genugtuung fest (8. August, 2014).

Ursachen der Krise werden ausgeblendet

Brüssel übernimmt als Rechtfertigung der neuen Sanktionen die Position der USA: Moskau muss bestraft werden, weil Putin für die Krise in der Ukraine verantwortlich ist. Diese Eskalationslogik blendet die innerukrainischen Ursachen der Krise aus: Die  Absetzung des gewählten Präsidenten Janukowitsch durch das Parlament im Februar war verfassungswidrig. Brüssel und die USA anerkannten sofort die provisorische Regierung, obwohl sich das Parlament geweigert hatte, in einer „Regierung der nationalen Rettung“ alle relevanten Akteure zu vereinen, wie es in einem Kompromissvorschlag der europäischen Aussenminister vorgesehen war.

Dafür wurden prominente Vertreter der rechtsextremen Gruppierungen „Swoboda“ und „Rechter Sektor“ mit wichtigen Regierungsposten betraut.  EU-Politiker haben sich nie vom nazistischen und antisemitischen Gedankengut des „rechten Blocks“ distanziert, der heute im Verbund mit der ukrainischen Armee und Nationalgarde gegen die Separatisten kämpft. Eine unabhängige Kommission hätte zudem die Verantwortlichen für Gewalt während der Revolution und Konterrevolution von beiden Seiten untersuchen sollen. Auch das ist unterblieben.

Geopolitische Konkurrenten im Grenzland

Die rasche Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU fand ohne  öffentliche Debatte statt. Damit wurde mindestens ein Drittel der Bevölkerung übergangen, die wirtschaftlich und kulturell nach Russland ausgerichtet ist. Das wiederum schürte in der Ostukraine erneut Misstrauen und Hass auf Kiew. Gleichzeitig findet in der Ostukraine ein Krieg zwischen den regionalen Oligarchen statt, die ihre Warlords und Generäle finanzieren. Es ist unwahrscheinlich, dass Moskau in diesem Kontext die prorussischen Akteure vollständig unter Kontrolle hat oder auch nur haben könnte.

Die lange Reihe der Missachtung politischer Spielregeln sowie die eklatante Schwäche der Zentralbehörden lösten eine Staatskrise aus, welche die Ukraine zum Schauplatz der aktuellen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen gemacht  hat. Und nicht umgekehrt. Erst die komplexe innenpolitische Situation im Grenzland Ukraine eröffnete externen Akteuren erhebliche Interventionsmöglichkeiten zur Austragung ihrer geopolitischen Konkurrenz.

Doppelmoral des Westens

kann niemand vorwerfen, er sei ein Linker oder Antiamerikaner.

Die Politik von Beschuldigung und Sanktionen gegen Moskau macht Europa zu einem Komplizen in einem Konflikt, den Putin als Krieg gegen Russland versteht. Druck erzeugt Gegendruck, Gewalt Gegengewalt. Die USA und die EU haben keine realistische Strategie, wie sie aus der Eskalationsspirale wieder herauskommen können.

Moskau hat einen Einsatz von „Friedenstruppen“ in der Ostukraine angedroht. Aus Putins Drohgebärde kann man aber auch unbequeme Fragen an Europa ableiten. Warum gibt es 25 Jahre nach dem Fall der Mauer  plötzlich wieder Krieg in Europa ? Warum war die EU, die sich als grosses „Friedensprojekt“ versteht, nicht in der Lage, diesen Krieg zu verhindern oder mindestens zu befrieden ?

Es ist unbestritten, Russland hat mit der Annexion der Krim gegen internationales Recht verstossen und die europäische Sicherheitsordnung nach dem Ende des Kalten Krieges für ungültig erklärt. Der aktuelle Konflikt hat ja auch aufgezeigt, dass Russland in keine funktionsfähige Sicherheitsordnung eingebunden ist und es an Instrumenten fehlt, um Konflikte zu entschärfen.

Die OSZE muss gestärkt werden

Institutionen wie der Nato-Russland-Rat und das Partnerschafts-Kooperationsabkommen mit der EU kamen nicht zum Zug oder wurden im Rahmen von Sanktionen ausgesetzt. Nur die „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (OSZE) ist plötzlich wieder aktiviert worden. Die gleiche OSZE, die von den USA und Russland lange so ausgehöhlt wurde, dass sie in sicherheitspolitischen Fragen nahezu keine Rolle mehr spielte. In diesem Konflikt ist die OSZE bisher nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Aber sie war bis jetzt die einzige Institution, die kleinere Durchbrüche zur Entspannung erreichte. Sie muss wieder zu einer Plattform werden, auf der nicht nur postsowjetische Konflikte verwaltet werden können. Die OSZE muss als Institution kollektiver Sicherheit gestärkt werden und zwar als Mediator und Konfliktlöser. Dazu müsste sich die Schweiz verwenden.

Das Beispiel Ukraine hat auch gezeigt: Es ist falsch, die Staaten der Postsowjetunion vor eine Entweder  – Oder – Entscheidung zu stellen. Für die Ukraine aber auch Staaten wie Georgien, Weissrussland oder Aserbeidschan ist es historisch und wirtschaftlich unsinnig, die Verbindungen zu Russland abzubrechen. Europas Beziehungen zu diesen Ländern dürfen kein Null-Summenspiel sein.

Die Vorstellung, durch wirtschaftlichen Druck und politische  Isolation werde man Russland in die Knie zwingen, führt in eine Sackgasse.

Frieden und Sicherheit im „europäischen Haus“ (Michail Gorbatschow) gibt es nur in einer neuen Sicherheitsordnung mit Russland.

Aktivisten oder Terroristen: Armed men ?

Die BBC und auch das Schweizer Radio berichten über weitere Besetzungen – Aktionen im Osten der Ukraine- so neu in Slowiansk. Ein Gebäude der Geheimpolizei können nur Profis, wohl selber Geheimoffiziere, besetzen. Kein normaler Bürger – egal welche Sprache er – kommt auf einen solchen Gedanken, geschweige denn würde das wagen.

Georg J. Dobrovolny, Bern

Fazit der BBC: “Armed men have seized a police station and a security services building in eastern Ukraine, officials say. Police said the men fired shots and used stun grenades to seize the offices in Sloviansk, near the Russian border. The interior minister called the gunmen „terrorists“ and said special forces would repel the attack. Pro-Russian activists have seized government buildings elsewhere in east Ukraine. Kiev accuses Moscow of orchestrating the unrest. Interim Foreign Minister Andrei Deshchytsia urged Moscow to end „provocative“ actions by its agents. “