Vor fünfzig Jahren kam der Prager Frühling zu einem jähen Ende. Zehntausende flüchteten in den Westen; allein die Schweiz nahm 12 000 Tschechoslowaken auf. Wie Ivo Mijnssen in der NZZ vom 17. 8. 18 schreibt, gilt die Aufnahme dieser Flüchtlinge als Beispiel gelungener Integration. Diese kamen zwar aus einem kommunistischen Land, wo nach offizieller Lesart Gottlosigkeit Staatsreligion war. Wie sagte doch Karl Marx: Religion ist Opium für das Volk. Doch Opium eignet sich schlecht für eine gelungene Integration. Es war vielmehr die jahrhundertelang gelebte Tradition der christlichen Grundwerte – hüben wie drüben. Für die einen Grund für die Flucht aus einem gottlosen Land, für die anderen Grund zur Solidarität, zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen und würdiger Lebensumstände. Es verbanden uns die gleichen abendländischen Wertvorstellungen.
Heute sind wir wieder mit Integrationsfragen konfrontiert. Wehe, wenn sich ein hiesiger Politiker oder Bürger getraut zu sagen, die Asylsuchenden kämen halt aus anderen, nichtchristlichen Kulturen, die Mühe hätten, unsere Lebensart zu respektieren. Es wird uns schnell vorgeworfen, Rassisten oder gar Faschisten zu sein. Es wird uns vorgeschrieben, was «political correctness» ist. Thomas Hürlimann sagte in seiner diesjährigen 1.-August-Rede, Toleranz sei ein anderes Wort für Feigheit. Eine harte Aussage, aber nachvollziehbar. Die Integration der Ungarn und Tschechoslowaken kostete uns einen Bruchteil von dem, was eine versuchte Eingliederung heute kostet. Manchmal kommen mir die Integrationsbemühungen vor wie ein Versuch am untauglichen Objekt.
Jost N. Brändle, Baden