Archiv für den Monat: August 2018

Deutschland und die Zuwanderung

Der Gastkommentar über Deutschland und die Problematik der massiven Immigration von Peter Schneider (NZZ 13. 8. 18) ruft nach einer Darstellung der tatsächlichen Situation. Es ist unbestritten, dass die Welle der Migranten im Jahr 2015 die Aufnahmemöglichkeiten der deutschen Bevölkerung an Grenzen gebracht hat. Unvoreingenommen wurden möglichst viele Flüchtlinge in die Aufnahmeeinrichtungen gebracht, dabei wurde der Bevölkerung vieles abverlangt. Die Schliessung von Turnhallen, der Bau von Containerdörfern und die Benutzung bisheriger Kasernen sind nur einige Beispiele. Völlig uneigennützig wurden Hilfsmassnahmen organisiert.

Nach relativ kurzer Zeit hat sich Ernüchterung breitgemacht. Ernüchterung darüber, wie diese Hilfen angenommen wurden. Da flogen in der Nacht Kleider auf die Strassen, da wurden Spielsachen weggeworfen (Meiningen/Thüringen), und es wurden immer neue Forderungen bezüglich Unterbringung und Verpflegung gestellt. Beispiele gibt es genügend, und einige Bürgermeister melden sich, zwar zögerlich, zu Wort und berichten über diese Zustände. Wenn Lehrer berichten, dass 80 Prozent der Schüler die deutsche Sprache nicht beherrschen und deswegen kein geordneter Unterricht mehr möglich ist, dann sind das alarmierende Zeichen. Integration gelingt nur dann, wenn die Bereitschaft zur Integration vorhanden ist. Eltern suchen sich Schulen aus, in denen der Anteil von Migranten niedrig ist, keiner will, dass sich die eigenen Kinder dem Niveau der Migranten anpassen sollen. Ich spreche nicht von den grossen Städten, in denen längst Parallelgesellschaften entstanden sind. Die Belastung der Kommunen und der Menschen hat einen kritischen Punkt erreicht. Man sollte vorsichtig sein, dass sich hier nicht mehr als Frustpotenzialbildet. Politiker müssen das wissen und verstehen und sollten handeln, im Interesse aller Beteiligten. Es müssenvernünftige Diskussionen stattfinden und nicht Blockbildungen auf allen Seiten.

Deutschland ist weder rassistisch noch fremdenfeindlich, jedenfalls nicht mehr als andere Länder. Nur muss man wissen, was noch zumutbar ist und was geleistet werden kann, um ein friedliches Miteinander zu gewährleisten.

Klaus Kreuter, Adetswil

 

Integration – damals und heute

Vor fünfzig Jahren kam der Prager Frühling zu einem jähen Ende. Zehntausende flüchteten in den Westen; allein die Schweiz nahm 12 000 Tschechoslowaken auf. Wie Ivo Mijnssen in der NZZ vom 17. 8. 18 schreibt, gilt die Aufnahme dieser Flüchtlinge als Beispiel gelungener Integration. Diese kamen zwar aus einem kommunistischen Land, wo nach offizieller Lesart Gottlosigkeit Staatsreligion war. Wie sagte doch Karl Marx: Religion ist Opium für das Volk. Doch Opium eignet sich schlecht für eine gelungene Integration. Es war vielmehr die jahrhundertelang gelebte Tradition der christlichen Grundwerte – hüben wie drüben. Für die einen Grund für die Flucht aus einem gottlosen Land, für die anderen Grund zur Solidarität, zur Bereitstellung von Arbeitsplätzen und würdiger Lebensumstände. Es verbanden uns die gleichen abendländischen Wertvorstellungen.

Heute sind wir wieder mit Integrationsfragen konfrontiert. Wehe, wenn sich ein hiesiger Politiker oder Bürger getraut zu sagen, die Asylsuchenden kämen halt aus anderen, nichtchristlichen Kulturen, die Mühe hätten, unsere Lebensart zu respektieren. Es wird uns schnell vorgeworfen, Rassisten oder gar Faschisten zu sein. Es wird uns vorgeschrieben, was «political correctness» ist. Thomas Hürlimann sagte in seiner diesjährigen 1.-August-Rede, Toleranz sei ein anderes Wort für Feigheit. Eine harte Aussage, aber nachvollziehbar. Die Integration der Ungarn und Tschechoslowaken kostete uns einen Bruchteil von dem, was eine versuchte Eingliederung heute kostet. Manchmal kommen mir die Integrationsbemühungen vor wie ein Versuch am untauglichen Objekt.

Jost N. Brändle, Baden

Hotspot für Agenten in Europa

Vergessen Sie Wien und Berlin, es gibt einen anderen Hotspot für Agenten in Europa: Brüssel.

Die wachsende Bedeutung der EU hat die belgische Hauptstadt zum wichtigsten Ziel für Geheimagenten gemacht.

Der Verdacht, dass Beamte der Europäischen Union von Großbritannien wegen sensibler Brexit-Informationen ausspioniert worden sein sollen, machte vergangene Woche Schlagzeilen auf der Insel. Für viele innerhalb der Brüsseler EU-Blase gehört das Bespitzeln von Freund und Feind schlicht zum Alltagsgeschäft.

Für einige Geheimdienste ist Brüssel vor allem deshalb ein Ziel, weil sowohl die Europäische Union als auch die Nato dort ihren Sitz haben. Für andere, wie beispielsweise Sicherheitsdienste aus afrikanischen Ländern und dem Nahen Osten, liegt der Schwerpunkt eher auf den großen Exilgemeinden in Belgien, die Einfluss auf die Politik in ihren Heimatländern ausüben.

Erst im Juni sagte der Chef des österreichischen Verfassungsschutzes, Peter Gridling, zu Reportern: „Brüssel hat Wien längst überholt“, wenn es um die Dichte von „sogenannten Nachrichtendiensten außerhalb der EU“ gehe.

Zwar gehörte Spionage in Brüssel schon immer zur Tagesordnung, doch während die Bedeutung der EU zusammen mit der Zahl der diplomatischen Vertretungen in der Stadt wuchs, stieg parallel dazu auch die Zahl der Spione.

Sein Leben ist der Beweis, dass einige Wahrheiten zeitlos sind

 

«Sein Leben ist der Beweis, dass einige Wahrheiten zeitlos sind»

US-Senator, Verbündeter, Patriot, Mentor oder Freund: Tribute aus der ganzen Welt für den verstorbenen John McCain.

Die Welt trauert um US-Senator John McCain. Würdigungen aus allen Erdteilen werden laut, darunter auch solche von amtierenden sowie ehemaligen US-Präsidenten. Die Fahne vor dem Weissen Haus hängt auf halbmast.

Die Schweiz steht auf der falschen Seite der Geschichte

«Die Schweiz steht auf der falschen Seite der Geschichte»  mit Beatrice Fihn sprach Markus Häfliger © Bereitgestellt von Tagesanzeiger

Es sei ungeheuerlich, dass sich die Schweiz gegen ein Atomwaffenverbot ausspreche, sagt die Chefin der Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen. Der Atomwaffenverbotsvertrag wird unterstützt von der Mehrheit der Länder der Welt, von der UNO, vom IKRK, vom Papst, von der Zivilgesellschaft weltweit.

Die Schweizer Regierung will den Atomwaffenverbotsvertrag nicht unterzeichnen.  
Wir sind sehr enttäuscht. Die Schweiz, die sonst immer für die Abrüstung und das humanitäre Völkerrecht einsteht, sollte eigentlich gegen Atomwaffen sein. Nun hat die Schweizer Regierung beschlossen, dass Atomwaffen weiterhin legal bleiben sollen. Damit stellt sie Atommächten wie den USA oder Nordkorea einen Persilschein aus. Das ist ungeheuerlich.

Wie erklären Sie sich den Entscheid?
Die Atommächte haben viel Druck auf die Schweiz und andere Länder ausgeübt, um sie von einer Unterzeichnung des Abkommens abzuhalten.

Können Sie konkreter werden?
Wir wissen, dass die Atommächte in vielen persönlichen Treffen und mit Papieren intervenierten. Sie taten das direkt in den Aussenministerien, sie taten es in New York und in Genf. In einigen Fällen haben sie Staaten sogar gedroht – mit dem Ende der Zusammenarbeit in anderen Bereichen. Es kann aber doch nicht sein, dass sich die Schweiz ihre Position zu einer atomwaffenfreien Welt von Trump oder Putin diktieren lässt.

Warum sollten die Atommächte so viel Druck ausüben?
Weil sie wissen, was der Verbotsvertrag für eine Macht hat. Darum wollen sie verhindern, dass ihm die für das Inkrafttreten nötigen 50 Staaten beitreten.

Ist der Vertrag nicht reine Symbolpolitik? Niemand kann die Atommächte zwingen, ihr Arsenal aufzugeben.
Schauen Sie sich die Situation bei den biologischen und chemischen Waffen an. Kein Land ist stolz auf sie, kein Land sieht solche Waffen als etwas Prestigeträchtiges an. Warum? Weil sie durch internationale Abkommen geächtet sind. Sobald eine Waffe illegal wird, verliert sie ihre Kraft und ihren Einfluss. So wird auch der Atomwaffenverbotsvertrag die Art und Weise verändern, wie die Welt die Atomwaffen sieht.

Nämlich? Der Vertrag ächtet Atomwaffen. Damit stehen die Atommächte ab heute auf der falschen Seite des Rechts, auf der falschen Seite der Moral.

Der Bundesrat betont, er strebe ebenfalls eine atomwaffenfreie Welt an. Dafür sei aber der Atomwaffensperrvertrag von 1968 das effizientere Instrument. Dieses drohe durch den neuen Vertrag geschwächt zu werden: Dieses Argument wurde längst widerlegt durch zahlreiche Rechtsexperten, die UNO, das IKRK. Die beiden Verträge ergänzen sich. Indem der neue Vertrag die Atomwaffen für illegal erklärt, schliesst er im Sperrvertrag eine Lücke.

Der Bundesrat sagt, Abrüstung könne man nur zusammen mit den Grossmächten erreichen, nicht gegen sie:Das wäre, wie wenn die Schweiz keine Menschenrechtsverträge unterschreibt, solange bis auch Saudiarabien sie alle einhält. Um die Grossmächte überhaupt an den Verhandlungstisch zu bringen, braucht es zuerst einen internationalen Standard. Wer einen solchen Standard nicht unterschreibt, legitimiert die Atombombe.

Die kleine Schweiz macht weltweit kaum einen Unterschied.
Jeder einzelne Staat, der zur Ächtung der Atomwaffen beiträgt, macht einen grossen Unterschied. Je mehr Länder aufstehen und sagen, dass diese Waffen, welche die ganze Welt zerstören können, inakzeptabel sind, desto grösser wird der Druck. Die Schweiz ist der Geburtsort des Roten Kreuzes, die Heimat des humanitären Völkerrechts. Das macht ihr Abseitsstehen noch viel unverständlicher. Ihre Glaubwürdigkeit, sich weiterhin zu humanitären Themen zu äussern, wird damit massiv untergraben.

Der Bundesrat fürchtet, dass die militärische Kooperation mit den Nachbarstaaten leiden könnte: Im Vertrag gibt es keine einzige Bestimmung, welche die militärische Zusammenarbeit mit konventionellen Waffen behindert. Verboten wird nur die Zusammenarbeit bei Atomwaffen. Und das kann die Schweiz ja nicht wollen, oder?

Der Bundesrat argumentiert, im Falle einer Aggression könnte die Schweiz dereinst froh sein, wenn sie Schutz findet unter dem nuklearen Schutzschirm der Nato.
Dass die Schweizer Regierung so etwas auch nur in Betracht zieht, hat mich schockiert. Sie sagt damit nichts anderes, als dass sie erwartet, dass gegebenenfalls zugunsten der Schweiz Nuklearwaffen eingesetzt werden. Sie sagt damit, dass sie gegebenenfalls Nuklearstaaten auffordern würde, zu ihren Gunsten einen Massenmord an Zivilisten zu begehen. Welche Grossstadt würde die Schweiz denn auslöschen wollen? Moskau vielleicht? Ich hoffe sehr, dass die Schweizer Bevölkerung gegen eine solch ungeheuerliche Position aufsteht.

Der Bundesrat warnt davor, dass der Atomwaffenverbotsvertrag in den demokratischen westlichen Atommächten mehr Wirkung entfalten könnte als etwa in Russland oder in China. Damit werde der Westen militärisch geschwächt.
Wenn die Schweizer Regierung ein solches Bild der Demokratie und der Zivilgesellschaft hat, bedrückt mich das. Damit sagt sie, dass Demokratie, eine starke Zivilgesellschaft und die Meinungsfreiheit ein Land schwächen. Wir glauben, dass die Zivilgesellschaft überall mitreden soll bei der Frage, welche Waffen es geben soll. Zwar mögen solche Verträge in demokratischen und nicht demokratischen Ländern nicht die genau gleichen Wirkungen haben, aber Wirkung haben sie überall. Nehmen Sie das Beispiel der Streumunition. Seit diese durch ein internationales Abkommen geächtet ist, trauen sich auch nicht demokratische Länder nicht mehr, solche Waffen öffentlich zu zeigen.

122 Länder haben 2017 dem Verbotsvertrag zugestimmt, erst 60 haben ihn unterzeichnet, 14 haben ihn ratifiziert. Der Ratifikationsprozess benötigt seine Zeit. Auch die Schweizer Regierung hat ja bis jetzt gebraucht, um ihre Position festzulegen. Bis Ende 2019 sind die nötigen 50 Staaten beigetreten, damit der Vertrag formell in Kraft treten kann.

Ihre Organisation hat ihren Sitz in Genf. Verlässt Ican die Schweiz jetzt?
Wir glauben immer noch an Genf als eine Staat der Abrüstung und des humanitären Völkerrechts. Und wir glauben auch nicht, dass der Entscheid der Schweiz endgültig ist. Im Bundesparlament ist eine Motion hängig, welche eine rasche Ratifikation verlangt.

Suchen Sie persönlich das Gespräch mit den Schweizer Behörden?
Im September werde ich Staatssekretärin Pascale Baeriswyl treffen. Wir arbeiten eng zusammen mit Parlamentariern, mit dem Schweizerischen Roten Kreuz und mit den Kirchen, welche für einen Beitritt zum Abkommen einstehen. Und wir hoffen, dass auch die Bevölkerung aufsteht. Zu diesem Zweck hat die Schweizer Sektion von Ican eine Petition lanciert, welche alle Schweizerinnen und Schweizer unterzeichnen können, um dem Bundesrat zu zeigen, dass er nicht den Volkswillen vertritt.

 

Die Russen begehren gegen die Rentenpläne der Regierung auf

Die Erhöhung des Rentenalters sorgt in Russland für hitzige Diskussionen. Die Regierung hat weite Teile der Bevölkerung gegen sich. Trotz Protesten im ganzen Land dürfte sie hart bleiben. Markus Ackeret, Moskau29.7.2018, 19:16 Uhr Auch in Russland sind Pläne zur Erhöhung des Rentenalters nicht populär. (Bild: Maxim Shipenkow / EPA) Das russische Parlament ist am Freitag in die Sommerpause gegangen. Die Abgeordneten zieht es, wie viele andere auch, in die Sommerfrische. In der Bevölkerung haben Parlament und Regierung aber viel Unmut gesät, der über die Ferien nicht einfach verschwinden wird. Die Rentenreform, die die Regierung von Ministerpräsident Medwedew im Juni ohne grosse Vorankündigung vorgestellt hatte, hat in breiten Bevölkerungsschichten – unabhängig von den politischen Grundeinstellungen – Widerstand hervorgerufen, der sich nun in landesweiten Demonstrationen niederschlägt und zum Teil auch Regionalregierungen unbotmässig werden lässt. Die bis jetzt grössten Kundgebungen fanden am Wochenende in zahlreichen russischen Städten statt – in Moskau mit etwa 10 000 Teilnehmern.

Fast jede Familie betroffen

Rote Fahnen der Kommunistischen Partei und der Linksfront dominierten das Bild. Auch andere, derzeit nicht im Parlament vertretene Oppositionsparteien wie die liberale Jabloko waren in einigen Städten präsent. Die Bewegung des Oppositionspolitikers Alexei Nawalny wurde zum Teil daran gehindert, sich den Protestumzügen anzuschliessen. Die Losungen richteten sich gegen den Kernpunkt des zur Debatte stehenden Gesetzes, die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters von derzeit 55 Jahren für Frauen auf 63 und von 60 auf 65 für Männer, darüber hinaus aber generell gegen die Regierung Medwedew und das Parlament, das dem Vorhaben in erster Lesung zugestimmt hatte, gegen die Stimmen der drei offiziösen Oppositionsfraktionen. Im Unterschied zu Nawalnys über das ganze Land verteilten Demonstrationen im vergangenen Jahr einte die Teilnehmer weniger eine grundsätzliche Unzufriedenheit mit der Politik in Russland als die Empörung über eine sozialpolitische Vorlage, die für so gut wie jede russische Familie finanzielle Einbussen bedeuten wird. Denn die so frühzeitig ausbezahlte Rente ist meist nur ein Zustupf zum Einkommen aus Erwerbsarbeit, die beim Übertritt ins Rentenalter fortgesetzt wird, solange es die Gesundheit und die Zufriedenheit des Arbeitgebers erlauben. Wer mit dem Renteneintritt aus seiner bisherigen Tätigkeit ausscheidet, sucht oft eine neue. Die mittlere Rente in Russland reicht mit 13 300 Rubel (210 Franken) kaum zum Leben. Sie kompensiert aber mangelnde andere Sozialleistungen wie das oft kostenpflichtige Gesundheitssystem. In manchen Regionen hängen auch Kinder und Enkel vom Renteneinkommen ab. Je später dieses den Pensionierten zusteht, desto enger wird der finanzielle Spielraum. Überdies fürchten viele ältere Arbeitnehmer, noch vor dem Rentenalter entlassen zu werden, weil sie aus Sicht der Arbeitgeber nicht mehr genügen. Und manche verweisen auf die immer noch tiefe durchschnittliche Lebenserwartung. Das eigentliche Problem des Vorhabens liegt weniger im Sachverhalt selbst als daran, dass es nur ein Schrauben am Rentenalter ist und die grundsätzlichen arbeits- und sozialpolitischen Fragen in Russland nicht angeht. Der Vorschlag, die Entlassung älterer Arbeitnehmer strafrechtlich zu belangen, zeigt eher Hilflosigkeit.

Härte gegen Abweichler

Um die enorme Unpopularität dieser Massnahme wissen Präsident Putin und seine Regierung sehr genau. Putin hat sogar einmal gesagt, das Rentenalter werde nicht erhöht, solange er im Amt sei. Der Kreml versucht, den Unmut der Bevölkerung von Putin fernzuhalten, indem das Vorhaben als Projekt der Regierung verkauft wurde, mit dem der Präsident nichts zu tun habe. Als selbst in der Staatspartei Einiges Russland immer mehr Kontroversen ausbrachen, verhängte die Parteiführung ihren Exponenten einen Maulkorb. Die Abgeordnete Natalja Poklonskaja, die sich als einzige offen ihrer Fraktion widersetzte, wird seither fast schon gemobbt. Ihr Fraktionskollege Sergei Schelesnjak blieb zwar der entscheidenden Sitzung fern, muss aber offenbar seine Parteiämter abgeben. Dass sich Putin kurz nach der ersten Lesung doch erstmals dazu öffentlich äusserte, wurde als Überraschung gewertet. Aber seine beschwichtigenden Aussagen – keine der Varianten mit höherem Rentenalter gefalle ihm, aber die Entscheidung sei notwendig, auch aus demografischen Gründen – liessen nicht erkennen, dass der Kreml eine Abschwächung des Gesetzes ins Auge fasst. Ein solches Szenario hatten Beobachter eine Weile lang erwartet. Nun scheinen sich Putin, Medwedew und die Regierung vom öffentlichen Widerstand nicht aufhalten zu wollen. Putins Beliebtheit ist zwar in den vergangenen Wochen geradezu abgestürzt. Die «putinsche Mehrheit» fühlt sich zu grösseren Teilen von ihm so kurz nach seiner Wiederwahl getäuscht. Putins Herrschaft können die Proteste aber nicht ins Wanken bringen. Eine Volksabstimmung, wie die Kommunisten sie gefordert hatten, hat die Wahlkommission bereits abgelehnt.

Briefe von amerikanischen Unternehmen und Ökonomen an den US-Präsident

Die angekündigten und teilweise bereits umgesetzten Zölle haben nicht nur außerhalb der USA zu Widerstand geführt, sondern auch in innerhalb des Landes. So sind seit März 2018 zwei „Briefe“ an den Kongress und das Weiße Haus gegangen.
Der erste Brief ist von 45 Handelgruppen unterzeichnet, welche eine Mehrheit der großen US-Firmen vertreten. Sie warnen dabei vor steigenden Preisen für die KonsumentInnen und Firmen sowie die Gefährdung von amerikanischen Jobs. Die zwei größten Vertreter sind die mit 300.000 Mitgliedern umfassende United States Chamber of Commerce, welche für Firmen wie Exxon Mobil, Boeing und General Electric lobbyieren, sowie die National Small Business Association mit insgesamt 65.000 Kleinfirmen.
Der zweite Brief wurde im Mai von Bryan Riley, dem Direktor der Konservativen National Taxpayers‘ Union koordiniert. Dieser wurde von über 1.100 Ökonomen aller politischer „Couleurs“ – davon 14 Nobelpreisgewinner, sowie dem ehemaligen Wirtschaftsrat der Präsidenten Barack Obama, Bush I & II und Bill Clinton, unterzeichnet. Dieser Brief bezieht sich auf ein Schreiben aus den 1930er Jahren, welches von 1.028 Ökonomen unterzeichnet und an den Kongress vor der Verabschiedung des Smoot-Hawley Tariff Act gesendet wurde. Durch diesen Act sind in den 30er Jahren eine große Anzahl an Tarifen erhoben worden. Dies gilt als ein Hauptauslöser für die Große Depression. Es wird betont, dass der Präsident und Kongress den Fehler nicht wiederholen sollen. Der Handel sei zudem heute noch bedeutender geworden und an den fundamental ökonomischen Prinzipien hat sich nichts geändert.
Obwohl die neokonservative US-Politzeitschrift Standard Weekly zum Schluss kommt, dass „only a president who is willing not to worry about 1,100 economists writing him letters will make progress on fairer trade terms with China” sich durchsetzen kann, betont diese doch zugleich das Zölle nicht einheitlich gegen die ganze Welt, wie dies in den 30er Jahren geschehen ist, benutzt werden sollen. Es solle vor allem gegen einzelne Länder eingesetzt werden, um die Kosten für die KonsumentInnen überschaubar zu halten und gleichzeitig bessere „Deals“ zu erzielen.
Ob diese Mahnungen an das Weiße Haus der Mitgrund für die Übereinkunft mit der EU sind oder nur ein „Waffenstillstand“, bleibt abzuwarten. Der Druck gegen Zölle scheint jedoch auch in den Vereinigten Staaten selbst zu steigen.

Marcel Zwygart MA MIM