Archiv für den Monat: Juni 2015

Unsere Hilfslieferungen an die Ukraine: Up-date

Unsere humanitären Lieferungen in die Ukraine mussten im Zollfreilager in Odessa mindestens 2 Wochen, bisher max. 8 Wochen lang auf die Freigabe durch die Kijewer Bürokratie, ausser durch die Zollverwaltung auch durch das Gesundheitsministerium warten.

Erst dann konnten unsere ukrainischen Partner die Hilfsgüter verteilen bzw. weitergeben, bisher an folgende Stellen:

  1. Entbindungsspital N5 in Odessa
  2. Tuberkulosespital in Odessa
  3. Das Rote Kreuz in Odessa
  4. Das Klinische Spital N411 in Odessa
  5. Das Klinische Militärspital in Dnipropetrivsk

Neu kommen als Empfänger voraussichtlich Spitäler in  Tscherkassy und-oder Mariupol noch dazu.

Wir vom Forum Ost-West in Bern danken auch im Namen der Betroffenen allen Spendenden und freiwilligen Helfern und Helferinnen, die dies ermöglicht haben.

Unsere Partnerin in Odessa sagt: „Wir kreieren zusammen eine Geschichte der Menschenliebe.“

 

 

 

Saakaschwili: Neuer Gouverneur von Odessa: Eine Meinung dazu aus Georgien

Poroschenko ernennt Georgiens Ex-Präsidenten Saakaschwili zum Gouverneur von Odessa – Eine Meinung dazu aus Georgien

Warum Poroschenko Saakaschvili nach Provinz delegiert hat, darüber kann man spekulieren: „Will er Moskau provozieren?  Und-oder die „Erfahrung“ von Saakaschvili nutzen? Oder ihn loswerden?“

Diese Ernennung Saakaschvili zum Gouverneur von Odessa hat bereits den georgisch-ukrainische Beziehungen geschadet, sagt eine georgische Persönlichkeit.

Was soll und kann Saakaschwili?

10 Jahre lang war er Präsident Georgiens*, Justizminister, ehemaliger Regierungsvorsitzender in Batumi und ehemaliger stellvertretender Innenminister….

*In seiner Heimat wird der Ex-Staatschef wegen Amstmissbrauchs gesucht, in der Ukraine ist er jetzt Gouverneur: Georgiens früherer Präsident Saakaschwili wurde vom ukrainischen Präsidenten Poroschenko zum Gebietschef der Region Odessa ernannt.

„Es gibt viele Herausforderungen in Odessa: die Bewahrung der Souveränität, der territorialen Integrität, der Unabhängigkeit und des Friedens“, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko bei der Ernennung des 47-Jährigen in der Hafenstadt Odessa. Der prowestliche Politiker, der „ein großer Freund der Ukraine“ sei, müsse außerdem die Korruption bekämpfen. Poroschenko erklärte, er habe Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft verliehen.

„Neue Ukraine aufbauen“

„Unser Hauptziel ist es, die künstlichen Konflikte hinter uns zu lassen, die dieser wunderbaren Gesellschaft aufgezwungen wurden“, sagte Saakaschwili nach seiner Ernennung. „Zusammen mit dem Präsidenten und seiner Mannschaft werden wir eine neue Ukraine aufbauen.“

Saakaschwili arbeitet bereits seit Februar als Berater von Poroschenko. Er ist einer von mehreren ausländischen Politikern, die für die Regierung in Kiew tätig sind.  Der Ex-Präsident studierte zu Sowjetzeiten in Kiew und hat in der Ukraine seinen Militärdienst geleistet. Von 2003 bis 2013 war er Staatschef Georgiens. Dann wurde er abgewählt und ging ins Exil in die USA. In seinem Heimatland wird wegen Unterschlagung und Amtsmissbrauchs gegen ihn ermittelt.

Die Regierung in Moskau verurteilte die Ernennung Saakaschwilis, in dessen Amtszeit ein Krieg zwischen Russland und Georgien um die abtrünnigen georgischen Provinzen Abchasien und Südossetien im Sommer 2008 fiel. In Georgien geriet der Politiker zuletzt in die Kritik, weil er Soldaten zum Dienst in der ukrainischen Armee gegen prorussische Separatisten im Kriegsgebiet Donbass aufgerufen hatte.

Reisebericht: Die Ukraine im Mai 2015

Die Ukraine im Mai 2015

Ein Reisebericht von Anna Kaeser, Slavistin M.A., Bern

Genau vor einem Jahr reiste ich über Lemberg nach Kiev. Schon kurz nach der Grenze, in Čop, sah ich das erste Wahlplakat von Petro Porošenko, dem jetzigen Präsidenten. Nach seiner Meinung befragt, war sich der Taxifahrer sicher, dass Porošenko gewählt werden würde, obwohl eigentlich niemand ihn wirklich geeignet finde. Diese Aussage, meist mit fatalistischem Unterton, hörte ich in den folgenden zwei Wochen noch oft. Und tatsächlich, Petro Porošenko wurde am 25. Mai 2014 zum Präsidenten gewählt. Damals, Anfang Mai 2014 schien mir das Land in einer Art Schockstarre. Der Konflikt im Donbass war akut und auch die tragischen Ereignisse auf dem Maidan noch sehr nahe. Selbst in Kiev gab es massiv weniger Verkehr, Shoppingmalls und Märkte waren nur spärlich besucht. Hingegen beobachtete ich eine nie dagewesene Solidarität unter den Menschen, ganz allgemein verhielten sich die die meisten Menschen rücksichtsvoller, netter als ich es gewohnt war.

Und nun, ein Jahr später, scheint die Schockstarre überwunden zu sein, das Land aber nicht, wie von vielen gehofft und vom Präsidenten versprochen, befriedet und auf dem Weg in eine bessere wirt-schaftliche Zukunft, eng verbunden mit der EU, sondern am Abdriften. Zuerst schien mir die Lage trotz Währungs- und Wirtschaftskrise etwas optimistischer zu sein als im Mai 2014, dann aber offen-barte sich die Verzweiflung der Bevölkerung von Tag zu Tag mehr, ganz abgesehen davon, dass die Ukraine auf einen Staatsbankrott zusteuert. Ausser einer beachtlichen Anzahl neuer Süssigkeiten-läden von Roshen, scheint der neue Präsident wenig zu Stande zu bringen.

Viele Menschen sind enttäuscht, sprechen z.T. sogar schon von der heraufziehenden dritten Revo-lution und scheinen, trotz der Vorbehalte gegenüber Porošenko vor seiner Wahl, erstaunt darüber, dass er sich genauso verhält, wie es von einem Oligarchen mit seiner politischen Vergangenheit zu erwarten war. Klar, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber weshalb hatte eine  (unbelastete) Kandidatin, wie es sie bspw. in der Person von Ol‘ga Bogomoliez‘ durchaus gab, nicht den Hauch einer Chance? Warum schenkten nicht einmal 2% der Wählenden einer solchen Kandidatin ihr Vertrauen sondern unterstützten einen Mann, der aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse und seiner Ver-wicklungen in frühere Regierungen doch als äusserst fragwürdiger Kandidat – zumindest was einen Neuanfang anbelangt – gelten musste?

Das Vertrauen in die Regierung scheint also schon wieder auf einem  für die Ukraine gewohnt niedrigen Niveau. Das einzige, was die Mächtigen und die normale Bevölkerung, die Leute auf dem Land und in der Stadt noch zu einen scheint, ist der Widerstand, ja oft Hass gegenüber Russland. Und Ethnie oder Sprache scheinen hierbei gar keine Rolle zu spielen im Gegensatz zum Rebellengebiet im Osten. Schon vor einem Jahr war der Rechte Sektor[1] auf dem Maidan präsent, es gab einen Sammelposten, aber von denen gab es auch sonst einige. Dieses Jahr war ich doch schockiert, als ich am 9. Mai erleben musste, wie ausgedehnt das Fundraising für den Rechten Sektor auf dem Maidan nun war und wie breit abgestützt diese Organisation in der Bevölkerung zu sein scheint. Auch Leute, die durchaus wissen, was Demokratie ist, wie sie funktioniert und was eine Demokratie untergräbt (eben z.B. paramilitärische Gruppen), Leute, die letztes Jahr noch wenig glücklich waren über Gruppierungen wie den Rechten Sektor oder Svoboda, versuchten mir nun zu erklären, weshalb der Rechte Sektor nötig und nützlich sei für die Ukraine, zum einen, um Porošenko nicht übermütig werden zu lassen, zum andern um weiterhin gegen die Rebellen im Osten vorgehen zu können.

Der ungelöste Konflikt im Osten und die Okkupation der Krim durch Russland nimmt anscheinend das Denken und die Diskussionen der Bevölkerung dermassen in Beschlag, dass wenige Gedanken daran verschwendet werden, wie es mit der Ukraine sonst weitergehen soll.

Dies scheint Porošenko in die Hände zu spielen. Er musste noch nicht einmal selber einen Krieg anzetteln, um von den innerstaatlichen Problemen (und seinen Versäumnissen) abzulenken. Er kann sich quasi darauf berufen, dass der Konflikt leider noch nicht beendet ist und deshalb auch sonst alles im Land blockiert wird. Bis anhin gab es keine nennenswerten Reformen, die Staatsfinanzen sind in einem katastrophalen Zustand und die Korruption ist unverändert hoch. Aber anstatt Anstrengungen hin zu einer Verbesserung der inneren Verhältnisse zu unternehmen, wirklich gegen die Korruption vorzugehen, sich um echte demokratische Strukturen zu bemühen, missbraucht der Präsident den Konflikt mit den Rebellengebieten, spricht sogar erneut von einem offenen Krieg.

Es ist klar, dass auch ein Präsident, der wirklich das Beste für sein Land will, nicht in kurzer Zeit alles verbessern kann. Trotzdem stellen sich einige Fragen. Wie wird es weitergehen? Ist der aktuelle Präsident tatsächlich ein weiterer Profiteur, der seine Amtszeit mehrheitlich zu seinen Gunsten zu nutzen weiss? Wird die Bevölkerung vielleicht tatsächlich schon bald wieder auf die Strasse gehen?

Oder will Porošenko tatsächlich tiefgreifende Veränderungen voranbringen und wird ihm das Volk das nötige Vertrauen und – v.a. – die nötige Zeit dazu geben?

 

[1] Pravij Sektor: Ein Zusammenschluss von rechten Gruppierungen während der Revolution auf dem Maidan, nun paramilitärische Organisation und Partei. Weiterführende Infos: http://de.wikipedia.org/wiki/Prawyj_Sektor