Forum Ost-West (FOW): Mitgliederversammlung vom 21.08.2018

Notizen zur Diskussion

Thema Russland: Fußballweltmeisterschaft in Russland. Die Sicherheit wurde an dieser WM großgeschrieben. Auf dem Weg zum Stadion wurde alle 20 Meter ein Polizist stationiert. Russland präsentierte sich den Gästen als ein sicheres Land mit einer modernen, gut funktionierenden Infrastruktur. Dem Veranstalter entgegengekommen ist, dass die Stadien meist nur via Luftweg erreichbar waren, so sind z.B. englische Hooligans nicht zu den Stadien gelangt. Die Russen haben hierbei, entgegen geläufiger Berichterstattung (z.B. alle Ausländer seien homosexuell und gewalttätig), gut gelaunte, friedliche ausländische MatchbesucherInnen kennengelernt. Die Begeisterung für Fußball ist nach einer aktuellen Umfrage mit 80% immer noch groß. Die russischen Sportler wurden zudem alle vom Kreml ausgezeichnet.

Die wirtschaftliche Lage Russlands ist zurzeit nicht gut. Solange das System Putin an der Macht ist, wird der Konkurrenz-Gedanke mit dem Westen dominieren. Man wird lieber gefürchtet. Konsens wird klein geschrieben. Für Russland gibt es keine vitalen Interessen, welche über Osteuropa hinausreichen. Die zukünftigen Entscheidungen werden zwischen China und den USA getroffen. Das Selbstwertgefühl der Russen ist, sicherlich auch durch die WM, gestiegen. In Russland hört man zurzeit oft „Bitte seien sie fair zu uns. Wir sind Konkurrenten.“ Diese Aussage widerspiegelt jedoch auch die aktuelle Staatspropaganda. Als erfreulich ist zu werten, dass sich viele junge RussInnen aktiv auf Gemeindeebene in der Politik engagieren. Diese Entwicklung ist von unten angetrieben und kann langfristig etwas verändern.

Während der Fussball-WM hat der Kreml die Rentenreform (insbesondere die Erhöhung des Rentenalters und der MwSt von 18% auf 20%) bekanntgegeben. Mit dem neuen Rentengesetz würde das Rentenalter für Frauen um 8 Jahre, für Männer um 5 Jahre erhöht. Das Rentenalter war mit 55/60 Jahre für schweizerische Verhältnisse jedoch eher tief. Der russische Rentenfonds ist in finanzielle Schieflage geraten, weil zurzeit zwei Einkommen auf einen Rentenbezüger fallen. Die Situation wird sich schnell verschlechtern, da lediglich geburtenschwache Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt kommen. Während Ökonomen die Erhöhung des Rentenalters als notwendig erachten, kritisiert die Bevölkerung diesen Schritt vor allem wegen der immer noch niedrigen Lebenserwartung in Russland. Die Frauen stossen sich auch daran, dass ihr Rentenalter um 8 Jahre erhöht wird, während die Männer nur eine Erhöhung um 5 Jahre schlucken müssen. Die russische Bevölkerung hat zusätzlich verärgert, dass die Reform offensichtlich mit Absicht während der Fussball-WM angekündigt wurde. Nach der aktuellen Berichterstattung in den russischen Medien, hat Russland in Syrien Vorarbeit geleistet, jetzt kann/muss der Westen zur Stabilisierung beim Aufbau finanziell unterstützend eingreifen. Die Sanktionen der USA betreffend der causa Skripal etc. werden offiziell als grundlos angesehen und nicht verstanden.

Wie sieht das Ost-West Bild und vice versa aus? Nach 10 Jahren Chaos nach der Wende wird aus russischer Sicht vor allem die ungerechte Behandlung während der Phase der Schwäche unterstrichen. Das West-Ost Bild hingegen ist geprägt durch den Cyberkrieg, der gegen ihn (den Westen) geführt wird, durch die Annexion der Krim, die Giftgasangriffe in Syrien. Die negative Sicht des Westens ist ein Feedback auf diese Aktionen.

Russlands militärische Situation sollte man sowohl vor dem Hintergrund der Lage in der Ukraine, in Georgien als auch dem Tschetschenienkrieg betrachten. Russland hat mit der Militärreform 2012-2019 auf die Erfahrungen aus dem Georgienkrieg reagiert. Ein Wechsel in der Militärdoktrin hat stattgefunden. Russlands Rüstungsindustrie hat hohe Priorität erhalten. Wie gehen die USA/EU damit um? Ratlos, verunsichert, orientierungslos.

Thema: 50 Gedenktag – Invasion Tschechoslowakei ´68

Es ist zu spüren, dass in Tschechien das Thema nicht wieder aufgewärmt werden soll. So kann und darf z.B. der tschechische Präsident nicht über das Thema sprechen. Die Welt könnte jedoch von dem Geschehen lernen. Es droht wieder alles hoch zu kommen!

Erfahrungsberichte: Am 21.8. 2018 jährten sich zum 50. Mal die sinnlose Invasion und die darauf folgende 22 Jahre andauernde Okkupation der Tschechoslowakei. Der Schaden davon ist bis heute spürbar… jedoch nicht beziffert, noch ist es ein Thema: Dröhnen von Flugzeugen.  Die Antonows fliegen Panzer um Panzer in die Tschechoslowakei ein. Die Situation war gefährlich. Die Panzer, mit 18-19-jährigen Soldaten bestückt, fahren durch die Straßen von Prag und zerstören Autos und Infrastruktur. Für ein Mitglied war die Antwort klar. Raus, weg. Hier ändert sich so schnell nichts. Bis heute wurde die Zahl der Toten als auch der Schaden nicht beziffert. Aktuell wissen die Jungen nicht sehr viel über diese Zeit. Sie beschäftigen sich eher mit der aktuellen politischen Situation im Lande. Es fällt immer noch schwer, über das Geschehene zu berichten. An einem Trauertag sollte man an die ca 200 Toten, die bis dato nicht genau erfasst sind, sowie an die Verletzten und Traumatisierten denken. Aus einem Kreml-Bericht aus Russland war zu hören, dass die Invasion zum Schutz des „Systems“ usw. immer noch als gerechtfertigt- Angst vor einer spontanen Volksbewegung- , zugleich jedoch als moralisch problematisch betrachtet wird.

Eine nicht verarbeitete tragische Geschichte wie jene von 1968 kann sich später rächen und ist ein Klotz am Bein für jegliche Erneuerung der Beziehungen.

Marcel Zwygart, MA MIM, FOW-Vorstand, Wien, Österreich

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