Archiv der Kategorie: Prognose

Russlands problematische Bevölkerungsentwicklung

Die negative demografische Entwicklung in Russland ist ein bekanntes Problem, dessen sich auch die russische Regierung bereits seit einigen Jahren angenommen hat. Im Juni dieses Jahres veröffentlichte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung ein Diskussionspapier zum Thema, in welchem die Massnahmen der Regierung sowie die Prognosen der russischen Statistikbehörde Rosstat erörtert werden:

„Mit der Krim-Bevölkerung hat Russland gerade etwa zwei Millionen Einwohner hinzugewonnen. Kurzfristig ist die Bevölkerungszahl damit auf rund 145 Millionen gewachsen. Trotzdem wird Russland künftig wohl eher Einwohner verlieren denn hinzugewinnen. Vor allem die Zahl der Personen im Erwerbsalter droht drastisch zu schrumpfen.“

„Seit 2007 ist Demografie eines der Schlüsselthemen der russischen Regierung. Damals verabschiedete sie ein Konzept zur Bewältigung der demografischen Probleme bis ins Jahr 2025. Der Plan: Familienfördernde Maßnahmen und verbesserte medizinische Versorgung sollten den Russen den Mut zu Kindern zurückgeben und ihnen ein gesünderes und längeres Leben ermöglichen.“

„In Russland schwindet die Erwerbsbevölkerung. Selbst wenn das Land es schaffen würde, die Zahl der Zuwanderer bis 2026 im Saldo auf über eine halbe Million pro Jahr zu steigern (hohe Prognose), hielten die Verluste bis Mitte der 2020er Jahre an und würden sie sich dann im Vergleich zu 2014 auf insgesamt über 700.000 belaufen. Bliebe die Zuwanderung auf dem Niveau von 2011 (mittlere Prognose) oder ginge sie gar zurück (niedrige Prognose), fielen die Verluste noch höher aus. Alle Prognosen nehmen aber an, dass Russland weiterhin große Erfolge bei der Erhöhung von Nachwuchszahlen und Lebenserwartung erzielt. Bleiben diese aber aus, wird die Erwerbsbevölkerung noch stärker schrumpfen.“

„Die demografische Entwicklung wird somit auch wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. In einer Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young geben zwei Drittel von über 200 internationalen Entscheidungsträgern an, dass Russland nur dann zu einem attraktiveren Investitionsstandort werden kann, wenn sich die demografische Lage bessert und keine Engpässe in der Versorgung mit Fachkräften entstehen.“

Das gesamte Diskussionspapier des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung finden Sie unter folgendem Link: http://www.berlin-institut.org/publikationen/discussion-papers/russland-neu-gezaehlt.html

 

Was Chodorkowski in Zürich am 27. Juni sagte

Kurzfassung des Referats von und der Diskussion mit Michail Chodorkowski, Universität Zürch, 27. Juni 2014. Autor: Georg Vancura, CH-Buchs

«Wirtschaftsfreiheit und die Rolle der Gerichte in Russland»

Datum:

Freitag,   27. Juni 2014

Ort:

Universität   Zürich-Zentrum

Rämistrasse   71

Hörsaal   KOH-B-10

Zeit:

18.15   – ca. 19.45 Uhr

http://www.eiz.uzh.ch/vortraege/oeffentliche-vortraege/

 

Geboren 26. Juni 1963 in Moskau, Russland

Studium Chemie und danach Volkswirtschaft in Moskau

90er Jahre Gründung einer Bank

Stv. Minister für Erdölindustrie

1995 – 2003 Chef Yukos

2003 Verhaftung wegen Steuerhinterziehung und Betrug, 8 + 6 Jahre Haft

2013 Entlassung

2014 in der Schweiz

http://en.wikipedia.org/wiki/Mikhail_Khodorkovsky

 

Teil 1 Referat: «Wirtschaftsfreiheit und die Rolle der Gerichte in Russland» (RU)

Zielpublikum: Studenten und Studentinnen

Sprache: Russsisch (ausgezeichnete Aussprache), Simultanübersetzung im Saal und in 8 weitere Uni Säle.

Das russische Rechtssystem ist gut strukturiert, hat ein fortschrittliches Zivilgesetzbuch, Strafrecht ok. Aber die Qualität nimmt ab wg. häufiger Aenderungen des Steuer- und Strafrechts.

  1. Das Rechts- und Justizsystem in der RF unterliegt dem Einfluss einiger Personen, ist nicht objektiv, politischer Einfluss nimmt zu.

Bsp: Kinderadoption (kranke) durch Ausländer verschärft.

Mitarbeiter ausl. Gesellschaften können als ‚Agenten‘  bezeichnet werden

Verwaltungsgesetz.

 

  1. Gesetz über die Stellung der Richter: Häufiger Wechsel  a) der Richter und b) der Gesetze.

Die obersten Richter werden durch das Präsidialamt ernannt.

Es läuft nach dem Motto von General Franco (ESP) : „Für meine Freunde alles, für die anderen nach dem Gesetz.“

Richterwechsel alle 2 Jahre  (früher alle 5 Jahre).

A)     Streit Bürger gegen Organisation: Weniger geregelt.

B)      Wirtschaftsstreit: geregelt ausserhalb der Gerichte; ist politisch, höher gestellte Partei wird besser behandelt.

Nomenklatura um Putin entscheidet mit.

C)      Sicherheitsorgane, FSB: Streitigkeiten werden durch Führungsorgane geregelt.

Tradition und Tendenz: Zivilprozesse werden in Strafprozesse umfunktioniert.

D.h. Beweise nicht mehr so wichtig, sondern die evtl. betrügerische Absicht. Kriminelle Tätigkeiten etc. können unterstellt werden. 328‘000 Personen sind wegen wirtschaftlicher Delikte verurteilt. Dies sind 50% aller Delikte.

Bsp. Astrachan: Konkurrenzklage in Strafklage umfunktioniert, 1 Mio. Rubel Strafe

Flughafen: Ein 40%iger  Anteilseigner investierte nicht, wurde angeklagt und verurteilt, die 40% Anteile auf die Stadt übertragen.

Yukos-Offerte Pipeline Rus-China: 1,2 Mrd. R für das Projekt, Offerte wurde nicht angenommen.

Gleiches Projekt später:  10 Mrd R., staatlich kontrolliert und viele Mitverdiener neu dabei….

Olympiade Sotschi: gleiches Vorgehen

Die russische Wirtschaft und die Regierung leben vom Verkauf der Rohstoffe.

Es gibt keine gesunde strukturelle wirtschaftliche Entwicklung. Daher sind Probleme in der Zukunft absehbar. In 10 Jahren wird die Rohstoffförderung abnehmen und das Staatsbudget wird in der Folge Defizite aufweisen.

In der Zeit 2011-2013:

– Die Anzahl Unternehmen nahm ab

– Staatsfinanzen /Anteil nahm wesentlich zu (250%)

– Banken + 100 %

– Einkommen sanken um 5 %

Höchste Schicht behandelt das Volk wie im alten Rom:  es bekommt Brot, Kriege und Spiele.

Teil 2 Fragen und Antworten, mit E. Gysling, Prof. A. Kellerhals und

  1. Normales Leben nach 10 Jahren Haft wie?

Ist möglich, braucht starke Nerven, Umstellungen waren für die Familie schwer.

2. Warum kam er in die Schweiz?

Das hat die Frau entschieden, ich kann nicht nach RU reisen, brauche freies Leben.

3. Warum ist Putin geschätzt, populär?

Russland ist autoritätsorientiertes Land.

4. Frage: Stabilitätsprinzip versus Autorität versus freie Demokratie

Es gibt viele andere Beispiele für autoritäre bis diktatorische Staaten, aber grosse Unterschiede: GR, E, Deutsches Reich, Nord Korea etc. Aber: Russische Gesellschaft wird das Regime nicht für immer akzeptieren. In 20 Jahren könnte es anders aussehen.

5. Is man good or bad?  Keine Antwort

Does power make evil?  Korruption ist in RU vor allem oben. Allf. Reinigung (Tschistka) müsste oben anfangen, einige wenige Prominente verhaften,
saubere Regeln aufsetzen und konsequent einhalten.

Private Security Guards? Nein, zu Hause und unterwegs nicht. Hier im Saal schon.

6. Warum wurde er überhaupt entlassen?

Das weiss ich nicht. Wahrscheinlich bin ich keine Gefahr mehr für Putin/Regierung mehr.

7. Bedeutung Ukraine-EU Vertrag?

RU Beziehungen sind/waren  durch Brüderlichkeit gekennzeichnet.

8. Russische Wirtschaft, wie effizient?

Basiert auf Rohstoffexporten, wenig Investitionen in andere Sektoren, Industrie und Dienstleistungen.

9. Wer kann das wie ändern?

Putin hat Glück, weil noch genug Rohstoffe vorhanden sind:

Förderung Öl 1995. 300 Mio. Tonnen Jahr;   2004 5 Mio. Barell Öl in 24 Std. gefördert d.h. 450 Mio. Tonnen Jahr

Preis: Viel früher 1 Barell: 8 USD; in 2014 1 Barell: 100 USD

10. Jelzins Regierungszeit?

Liberal und chaotisch; wahre Existenz möglich.

Mögliche Entwicklungsrichtungen: 1. Entwicklung zur Demokratie als ‚komplexe Richtung‘ möglich gewesen

11. Abstützen auf Sicherheitsdienste: Regierungssystem up /gestärkt, aber menschlich gesehen ein Rückschritt ins 18.-19. Jahrhundert.

12. Wird Russland ein Rechtsstaat?

Das kann möglich sein in ca. 20 Jahren.

13. Neue Struktur der RU Gerichtsbarkeit ist besser?

Die RU Gerichtsbarkeit gründete auf zwei Säulen:

1, Schiedsgerichte, Lösung der Streitfälle durch Arbitrage. Die Gerichte waren gut, teilweise unabhängig.

2, Allgemeine Gerichte: Zivilgerichte, Strafgerichte. Diese Gerichte waren und sind kontrolliert durch die Staatsorgane.

Neu wurden sie zusammengeführt und das ist nicht gut, weil letztere vermehrt allgemein gültig werden.

14. Ist Putin ein Stratege oder Opportunist?

Er ist ein guter Taktiker wie einige Westpolitiker auch, mit sehr gutem Gespür für Macht.

15. Was haben Sie falsch gemacht?

Klug wäre es gewesen, sich nicht in Politik einzumischen, v.a. nicht in/mit Opposition gehen.

Opportunistisch wäre die Möglichkeit gegeben, Geld vom Regierungsbudget zu nehmen, Arrangement mit Regierung und K.

16. Würden Sie es nochmals machen?

Das frage ich mich auch. 2-4 Jahre Gefängnis wären noch akzeptabel gewesen, aber 8-10  und der Rest waren zu viel.

17. Warum hat Jelzin Putin ausgesucht?

Putin hat Jelzin’s Familie Unversehrtheit garantiert.

Für Ru ist Putin ein NOK Fall.

18. Die Schweiz weigerte sich 2003 6.2 Mrd. USD an RU auszuzahlen. Was ist mit dem Geld geschehen?

Das Kapital waren meistens Aktien der Yukos für Aktionäre und tw. Veteranen Fonds.

Als Yukos zerschlagen wurde und Konkurs ging, sank der Wert der Aktien auf 0,- USD.

19. Investitions-/Geldabfluss aus Russland? 70,- Mrd USD Abfluss aus RU / Jahr

RU bietet zu wenig interessante Investitionsmöglichkeiten. Das Interesse der Investoren am RU Markt nimmt ab. Das Geld kann nicht in RU behalten werden.

20. Braucht ein Investor/Unternehmer in RU Regierungssupport?

Ja.

21. Was würden Sie mir raten? Ich bin Jus. Studentin im 8. Sem., soll ich zurück nach Russland arbeiten gehen?

Das fragen sich sicher manche Studenten. Das Problem stellt sich wie folgt: In RU wird es Veränderungen geben. Um sie politisch geltend zu machen und umzusetzen, braucht es Leute die dannzumal Erfahrung haben und etwas Neues bauen können. Zugereiste können das nicht.

Nach dieser Frage habe ich den Saal verlassen,

um das Konzert der ‚Beach Boys‘ in Zürich Kongresshaus hören zu können.

Disclaimer: Kann leider nicht die  Richtigkeit der Zahlenangaben und des Kontextes garantieren.

Dafür ist ausschliesslich der Redetext oder Transskript massgeblich.

Zusatz:

– Eine Frage aus dem Publikum hat Chodorkowski nicht beantwortet: Wo sind die 6 Milliarden Dollar, die auf Verlangen Moskaus (Rechtshilfeabkommen) in der Schweiz blockiert und dann wieder freigegeben wurden. Das dürfte auch der Grund sein, warum er in der schweiz als „pauschalbesteuerter“ Einwohner in Rapperswil – Jona leben kann.“

Autor der Kurzfassung des Referats und der Diskussion

Georg Vancura

 

Die Ukraine: Ein multidimensionaler Konflikt

Eine Analyse von Georg J. Dobrovolny, Dr.oec. HSG

Der Kampf um die Ukraine ist nicht nur ein Ost-West-Konflikt: Offensichtlich will der Kreml von internen Problemen ablenken und benutzt seine Propaganda und sein Verwirrspiel strategisch. Er gefällt sich im Scheinwerferlicht der internationalen Aufmerksamkeit. Er gibt den Ton an, ohne zu wissen wohin die Reise führt und lädt sich eine neue Bürde auf: nach Tschetschenien und dem Krieg in und mit Georgien sind bereits zwei sog. abtrünnige Gebiete in Georgien entstanden: Abchasien – seit 1992 faktisch unabhängig, und Südossetien – seit 2008….beide hängen am Geld-Tropf aus Moskau. Transnistrien,  seit 1990 von Moldau getrennt, ist im Zusammenhang mit dem kommenden Moldau- EU- Abkommen aktuell. Der Kreml droht bereits mit „Konsequenzen“, was immer das zu bedeuten hat.

Auch die Kirchen und Oligarchen – ukrainische gegen russländische sowie untereinander – und vor allem die Energie-Unternehmen wie Gazprom – kämpfen gegeneinander.

Weniger bekannt ist dass: Einige Söldner im Osten der Ukraine stammen aus Moskau sowie aus Tschetschenien und Ossetien. Hinzu kommen die Spezialeinheiten SSO für illegale Einsätze im Ausland. In einem Demo-Film auf Youtube sagen sie: „ Wir werden für illegale Einsätze überall auf der Welt, wo die russ. politischen, militärischen und ökonomischen Interessen tangiert werden, eingesetzt. …“ Sie operieren maskiert, ohne Erkennungszeichen und sind auch für Sabotagen zu haben. Alle diese Spezialeinheiten meinen wohl, sie gewinnen durch Gewalt an Einfluss, koste es, was es wolle. Dabei singen die Studenten auf der Krim mutig die ukrainische Nationalhymne.

Und trotz allem meine Prognose: Es wird sich langsam beruhigen; die annektierte Krim sowie die dortigen Gasfelder, ebenso die russ. Gaslieferungen an und durch die Ukraine, bleiben zunächst ein Problem. Ebenso lässt der wirtschaftliche Aufschwung – die russ. Wirtschaft befindet sich seit 2012 in einer Rezession – auf sich warten. Die ukrainische Wirtschaft ist zwar durch die Konflikte geschwächt, läuft jedoch trotzdem recht gut. Sie kann wohl vermehrt auf Aufträge westlicher Unternehmen hoffen, welche sich jetzt aus Russland zurückziehen.

Ob die Krim zu Moskau oder Kiew gehört, macht wohl für die dort auf der Krim lebenden Menschen theoretisch keinen grossen Unterschied. Man hat erwartete höhere Renten und Löhne unter dem Diktat der Kreml-Führung. Doch die Versorgung ist bereits erschwert. Die dort tätigen Unternehmer sind verunsichert, potenzielle Touristen bleiben weg. Demzufolge entfallen der einheimischen Bevölkerung wichtige Einnahmen. Zurzeit kann man gemäss der uns bekannten Unternehmerin Julia, die dort bis vor dem Anschluss eine Filiale geführt hat, niemandem Ferien auf der Krim empfehlen. Einige Waren werden an dem schmalen Grenzeingang von der Ukraine her bei der „Zollkontrolle“ konfisziert.

Einzig die Bauwirtschaft kann auf Aufträge aus dem Kreml hoffen: Bau von Zoll- und Sicherheits-Einrichtungen –  ökonomisch betrachtet ein Leerlauf bzw. eine Verschwendung der Ressourcen. Der Kreml verlangt von Kiew einen hohen Gaspreis (bis zu 485 $ pro m3), dabei hatte er dem reichen China einen Preis von 350$ zugestanden. Die Zeche soll doch die EU bezahlen. Wozu sitzt Ex-Bundeskanzler Schröder bei der Gazprom im Vorstand, welche Rolle spielt er da?

Wir können uns fragen: Was soll das alles? Wem gereicht der Ukraine-Konflikt zum Vorteil? Es handelt sich hier um einen multidimensionalen Interessenkonflikt. Dieser lässt sich nicht auf die Schiene „Ost-West“ festlegen.

Georg J. Dobrovolny, Dr. oec.,  Bern, Juni 2014