Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat sich mit einer langen Erklärung zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche an die Öffentlichkeit gewandt. Das auf Deutsch verfasste Schreiben wurde unter anderem auf der Website der Mailänder Tageszeitung «Corriere della Sera» veröffentlicht. In der Amtszeit des Papstes aus Bayern (2005–2013) wurde die Kirche von Missbrauchsskandalen in mehreren Ländern erschüttert.
Der fast 92-jährige Benedikt beschreibt den Missbrauchsskandal als geistliche Krise der Kirche und ruft zu einer «Erneuerung des Glaubens» auf. Als Ursachen für den Missbrauch macht er die Gottlosigkeit und eine Entfremdung vom Glauben aus. Seit den 1960er Jahren habe sich dies auch in einer Abkehr von der katholischen Sexualmoral ausgedrückt. Dies habe fatale Folgen für die Theologie, die Priesterausbildung und die Auswahl von Bischöfen gehabt.
Benedikt bringt auch die 68er Jahre in einen Zusammenhang mit dem Missbrauchsthema in der Kirche. Zur Physiognomie der 68er Revolution habe es gehört, dass auch Pädophilie erlaubt gewesen sei. Davon unabhängig habe sich zur gleichen Zeit ein Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, «der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte».
Mit seiner These unterstellt Benedikt, dass vorwiegend Pädophile Kinder missbrauchen. Das widerspricht international verfügbaren Daten, die von einer Minderheit ausgehen. Ausserdem ignoriert Benedikt faktisch den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch Geistliche in den Jahrzehnten zuvor, wie dieser in den vergangenen Jahren durch Studien in verschiedenen Ländern nachgewiesen wurde.
Auf die rhetorische Frage, warum Pädophilie ein solches Ausmass erreichen konnte, schreibt Benedikt: «Im Letzten liegt der Grund in der Abwesenheit Gottes.» Auch Christen und Priester redeten lieber nicht von Gott, weil diese Rede nicht praktisch zu sein scheine.
Zu Beginn seiner Erklärung schreibt Benedikt, sein Text sei aus Notizen entstanden, die er sich im Zusammenhang mit dem Anti-Missbrauchs-Gipfel im Februar im Vatikan gemacht habe. Damals trafen sich zum ersten Mal überhaupt die Vorsitzenden aller katholischen Bischofskonferenzen der Welt, um über das Thema zu beraten.
Benedikt weist darauf hin, dass er für den Text Rücksprache mit Papst Franziskus gehalten hat. Der Artikel soll in der April-Ausgabe des in München verlegten «Klerusblattes»