Ukraine-Konflikt: Informationskrieg

Ukraine-Konflikt: Es tobt ein Informationskrieg

Im Konflikt um die Ukraine werden die Medien als Waffen eingesetzt. In Putins Russland ist das offensichtlich. Aber auch westliche Medien informieren selektiv und einseitig.

Von Roman Berger

Moskaus Fernsehnachrichten über die Ereignisse in der Ukraine und auf der Krim  sind eine Mischung von legitimen russischen Standpunkten, Halbwahrheiten und plumper Propaganda. Klare Worte dazu findet der bekannte russische Journalist Wladimir Posner, der am Staatsfernsehen Kanal 1 eine viel beachtete Talkshow moderiert: „Wer am russischen Fernsehen Nachrichten schaut, fühlt sich zurückversetzt in die heroischen Zeiten, als die sowjetische Armee die Krim und Sewastopol befreite.“ Und Posner fragt sich: „Wird hier die Oeffentlichkeit auf etwas vorbereitet, das letztlich in Gewaltanwendung enden wird ?“ Der  Journalist kritisiert aber auch die „selektive“ Berichterstattung in den amerikanischen und europäischen Medien. „Es findet eine Art neuer Kalter Krieg statt.“

Mutig reagierten zwei Moderatorinnen des von der russischen Regierung finanzierten englisch sprachigen TV-Senders „Russia Today“. Sie protestierten vor laufender Kamera gegen die Einseitigkeit der Berichterstattung .

„Russische Dichtung“ und Wahrheit

Ungewöhnlich reagierte auch das Aussenministerium in Washington. Es hat eine Liste der zehn grössten Unwahrheiten veröffentlicht, die der russische Präsident aus amerikanischer Sicht verbreitet. Die „Liste der Lügen“ ist ein Dokument des Misstrauens, das auch zeigt, wie gross die Furcht der USA vor einer Niederlage im Propaganda-Krieg ist. Seit Dostojewski, schreiben die Mitarbeiter des State Departement auf der Homepage des Aussenministeriums, habe die Welt nicht mehr eine solch „verblüffende russische Dichtung“ gesehen, wie Russland sie verwende, um sein „illegales Vorgehen“ in der Ukraine zu rechtfertigen. Unter dem Titel „President Putin`s Fiction“ werden zehn Aeusserungen Putins zitiert, in denen er den Einmarsch auf der Krim rechtfertigt – gefolgt von den Fakten, die er dabei aus Sicht der Amerikaner ignoriert oder verdreht.

Zum Beispiel: Putins Aussage, russische Truppen seien nur zum Schutz der russischen Militäranlagen auf der Krim und dortige Bürgerwehren hätten die Infrastruktur – und Militäreinrichtungen an sich gerissen, widerspricht Washington: „Russische Sicherheitsleute bilden den Kern des gut organisierten anti-ukrainischen Vorgehens, ohne Abzeichen, aber in russischen Fahrzeugen und mit Waffen, die nicht in die Hände von Zivilisten gelangen. Auf Nachfragen geben sie sich freimütig als Russen zu erkennen.“

Oder: Putin behauptet, das Vorgehen ist durch den ukrainisch-russischen Freundschaftsvertrag gedeckt. Die Position der USA: „Der Vertrag fordert von Russland, die territoriale Integrität der Ukraine zu respektieren. Der Vertrag wurde durch Russland gebrochen.“

Natürlich lügt Putin. Aber auch in Washingtons „Liste der Lügen“ werden Fakten zurecht gebogen oder ignoriert. So konstatiert beispielsweise die bekannte israelische Tageszeitung „Haaretz“, dass in der ukrainischen Uebegangsregierung fünf Ministerposten, darunter das Justizministerium und das Amt des Vizepremiers, durch Rechtsextreme mit eindeutig nazistischer Ideologie besetzt worden seien. Dieses für „Haaretz“ besonders beunruhigende Faktum sei auf der „Lügen-Liste“ des US-Aussenministeriums übergangen worden. Die israelische Zeitung ist mit einem Korrespondenten in der Ukraine vertreten.

 Kritik an Washingtons Doppelmoral

Undiplomatisch Klartext spricht Leslie Gelb, ein langjähriger Mitarbeiter für Aussenpolitik bei der „New York Times“ und später hoher Beamter im State Departement: „In Washington werden täglich heilige Prinzipien des Völkerrechts beschworen, die von den USA selber missachtet worden sind…Kein Experte der internationalen Politik erwartet von den USA oder Russland, dass sie auch praktizieren, was sie predigen.“ Gelb fordert seine ehemaligen Kollegen auf, „ihre Lügen und ihr selbstzerstörerisches sich in Positur setzen einzustellen“. Mit seiner beissenden Kritik (www.dailybeast.com) hat Gelb, der während zehn Jahren Präsident des elitären „Council on Foreign Relations“ war, beträchtlich Staub aufgewirbelt.

 

Seit dem wahrscheinlich vom russischen Geheimdienst abgehörten Telefongespräch von US-Vizeaussenministerin Victoria Nuland („Fuck the EU“) mit dem amerikanischen Botschafter in Kiew, Geofrey Pyatt, weiss die Welt, dass die USA seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 mit der beachtlichen Summe von fünf Milliarden Dollars in diesem Land „Demokratieförderung“ und „Good governance“ unterstützt haben . Für Putin ist das eine Bestätigung: Die Demonstranten auf dem Maidan-Platz in Kiew wurden während Monaten bezahlt, die mit Molotowcocktails und Zielfernrohrgewehren ausgerüsteten Kampfbrigaden der Opposition wurden ausgebildet, um so die Gewaltspirale weiter anzutreiben.

Am russischen Fernsehen und Internet wird behauptet, Einheiten der US-Söldnerfirma „Academi“ (früher  Blackwater) seien in der mehrheitlich russisch sprechenden, von Unruhen heimgesuchten Ostukraine im Einsatz. Die aus den USA stammenden Söldner seien schon als Privatsoldaten im Irak, in Afghanistan und anderen Ländern eingesetzt gewesen.

Putin im Umfragehoch

Entscheidend für Putin ist nicht, wie er im westlichen Ausland sondern, wie er in Russland wahrgenommen wird. Laut Umfragen des regierungsunabhängigen Forschungszentrums Lewada befürworten die meisten Russen Putins Vorgehen auf der Krim. Die Unterstützung für den Präsidenten ist mit 68 Prozent auf dem höchsten Stand seit seiner Rückkehr ins Amt vor zwei Jahren. Das lässt sich mit der Propaganda des russischen Staatsfernsehens erklären. Die wenigen unabhängigen Informationsquellen stehen unter Druck oder werden geschlossen.

Trotzdem verfügt fast jeder Russe weiterhin über seine eigenen persönlichen Informationsquellen in der Ukraine und auf der Krim.  Fünf Millionen Ukrainer arbeiten und leben heute in Russland.  Jede russische Familie hat Verwandte oder Freunde in der Ukraine, die täglich miteinander kommunizieren. Nicht zu unterschätzen ist auch die in jahrzehntelanger Erfahrung entwickelte Fähigkeit der Bevölkerung, zwischen den Zeilen lesen zu können. Die russische Oeffentlichkeit ist immer noch im Stande, sich ihre eigene Meinung zu bilden.

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