«Aus den Akten eines Staatsfeindes»
Der Schweizer Fichenskandal von 1989 muss dringend aufgearbeitet werden (NZZ 8. 1. 20). Bisher wurde die Geschichte durch die damaligen Gewinner geschrieben: Die Linksintellektuellen durften sich grossartig darüber aufregen, wie sie vom Staat dabei beobachtet worden waren, wie sie mit den informellen Mitarbeitern des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit zusammengearbeitet hatten. Das wurde dem Bundesrat Kurt Furgler, dem Bundesanwalt Rudolf Gerber und der ganzen «Bourgeoisie des Kapitals» etwas voreilig als plumper Antikommunismus vorgeworfen. Selbst im Historischen Lexikon der Schweiz hat diese Vereinfachung der Geschichte ihren Niederschlag gefunden. Mit der Auswertung der Stasi-Akten durch den Bundesbeauftragten für das deutsche Stasi-Archiv, Hubertus Knabe, und mit den ergänzenden Forschungen des Historikers Erwin Bischof zeigt sich das realistischere Bild einer kompletten Unterwanderung aller linken Organisationen des Westens ab 1948 durch Agenten des sowjetischen Apparats. Ab den 1950er Jahren liessen sich westliche Intellektuelle vor den Karren des Marxismus spannen, spionierten unsere Länder aus, dass sich die Balken bogen, und sind heute natürlich froh, wenn die NZZ (8. 1. 20) erneut alle Linken, Schriftsteller, Journalisten und Neomarxisten von jeder Schuld und Sühne freispricht. Der Fichenskandal von 1989 und die staatsgefährdenden Aktionen der Linksintellektuellen ab den 1950er Jahren müssen vollumfänglich diskutiert werden. Aber bitte nicht nur aus der einseitigen Sicht eines Moritz Leuenberger, Max Frisch, Walter Matthias Diggelmann, Jörg Frischknecht oder einer Klara Obermüller, sondern aufgrund aller heute vorhandenen Fakten.
Christof Merkli, Remetschwil