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Russlands Wirtschaftslage: Kollaps ausgeblieben/ update

Russlands Wirtschaftslage: Kollaps ausgeblieben

Dr. Stanislava Brunner, Vorstandsmitglied FOW                                                          Zürich, 6.5.2015

Bis Januar 2015 hat die russische Währung eine steile Talfahrt erlebt – insgesamt resultierte 2014 ein Verlust gegenüber dem US$ von 46%. Die Notenbank sah sich zu massiven Zinserhöhungen  (Leitzins auf 17%) und Devisenverkäufen gezwungen.

Im Februar 2015 setzte unerwartet früh eine Erholung ein: von 67 Rbl per US$ auf 51 Rbl/US$, obwohl die Voraussetzungen wegen der anhaltenden Sanktionen und der  drohenden Rezession nach wie vor ungünstig waren

Die Erstarkung der Währung war zum einen Teil saisonal begründet , da Unternehmen wegen Steuerzahlungen in grossen Mengen Dollar in Rubel tauschten; zum anderen haben sich die Rohölpreise, nach einem Einbruch im vorangegangenem Halbjahr um 50%, seit Jahresbeginn stabilisiert und zuletzt leicht zugelegt auf über 60$ pro Barrel. Und die Lage in Ukraine hat sich nicht weiter verschlechtert. Nach dem Ende der Panik setzte auch eine Spekulation zugunsten des Rubels ein.

Doch nicht alle sind erfreut: ein stärkerer Rubel schwächt die Wettbewerbsposition russischer Exporteure. Vor allem die Staatseinnahmen, welche zum grossem Teil aus Erdölverkaufen in US $ gespeist werden, würden nicht mehr so leicht fliessen. Der Rubelpreis pro Fass liegt um 14 % tiefer als im Vorjahr. Wegen des Erreichens der Kapazitätsgrenze mit 10.7 Mio. Fass pro Tag lässt sich der voraussichtliche Fehlbetrag  im Staatsbudget  2015 von 3.7% des BIP durch eine erhöhte Ölproduktion nicht ausgleichen.

Analysten sind der Meinung, dass der  Rubel, gemessen an den Fundamentaldaten, immer noch überbewertet ist.

In 2015  droht eine  Rezession: nach einer Schrumpfung des BIP um 2% im 1. Quartal gegenüber dem Vorjahr wird im 2. Quartal ein Minus bis zu 4% erwartet. Angesichts dieser Lage und der leicht abgeschwächten Inflation (16.5% im April gegenüber 16.9% im Vormonat) hat die russische Notenbank am 29.4. den Leitzins  deutlich auf 12.5% gesenkt, nach der letzten Reduktion auf 14% im März. Durch günstigere Kredite sollen  die Investitionstätigkeit und der Konsum angekurbelt werden.

Reichen diese kleinen Zeichen, um das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen?

Die Investitionen sind im 1.Quartal 2015 um 6% eingebrochen. Die Kapitalflucht dauert an. Die ausländischen Direktinvestitionen sind in den 3 Quartalen 2014 gegenüber der Vorjahresperiode  von 61.3 Mrd. $ auf 23,6 Mrd. $ zurückgegangen. Die Währungsreserven nehmen kontinuierlich ab, auf 353.5 Mrd. $ Ende April 2015.

Jedoch scheint die russische Wirtschaft robuster als befürchtet. Die Industrieproduktion – vor allem die Rüstungsindustrie –  hat leicht  zugelegt. Der Maschinenbau, welcher für die Öl- und Gasindustrie produziert, wird von der Regierung Hilfsgelder in Milliardenhöhe erhalten. Auch die Lebensmittelindustrie wurde dank der Substitution ausbleibender Importe angekurbelt.

Allerdings werden die Militärausgaben auf Kosten von Gesundheitswesen und Bildung erhöht. Also, kaum Investitionen in eine bessere Zukunft, wenn man den Schwund der Erwerbsbevölkerung und den Fachkräftemangel berücksichtigt. Die  Arbeitsbevölkerung ist überaltert, das Durchschnittslebensalter niedrig.

Russland konzentriert sich auf die Suche nach neuen Handelspartnern – neben China und Indien wurde der Aufbau von Handelsbeziehungen mit Iran eingeleitet.

Wie sind die weiteren Aussichten?

Die starke Korrelation des Rubel-Wechselkurses mit dem Ölpreis dürfte – zumindest kurzfristig – die Rubelerholung unterstützen. Da einerseits in der Folge des starken Ölpreiseinbruchs  viele amerikanischen Schiefergasförderer schliessen mussten und das Überangebot abgebaut wurde, und andererseits  grosse Terminmarktspekulanten auf eine Erholung setzten,  ist der Trend beim Ölpreis gegenwärtig positiv. Die mittelfristige Ölpreisentwicklung bleibt jedoch volatil.

So scheint das Katastrophenszenario für Russland abgewendet, doch die alten Probleme bleiben.

Die EU- Sanktionen dürften wegen der ungeklärten Lage in der Ukraine verlängert werden. Als Folge der weiter sinkenden Reallöhne sind vom Konsum kaum Wachstumsimpulse zu erwarten. Es bleibt abzuwarten, ob die Zinssenkungen die private Investitionstätigkeit ankurbeln. Der Staat jedenfalls, konfrontiert mit einem Budgetdefizit von 3.7% in diesem Jahr, hat kaum Spielraum für zusätzliche Investitionsausgaben. Das Defizit wird wohl aus dem Reservefonds finanziert, dessen Mittel auf  Ende  Jahr aufgebraucht würden.

So dürfte das BIP Wachstum – nach einem kleinen Einbruch von 0.6% in 2014 – im aktuellen Jahr weiter mit ca. 3-4% rückläufig und 2016 wahrscheinlich noch schwach negativ bleiben. Positiv ist, dass die Krise auch eine Chance wurde, durch die erzwungene Importsubstitution die eigene Industrieproduktion (Leichtindustrie, bestimmte Maschinenbausparten) anzukurbeln und somit den lange fälligen Schritt zur Reduktion der Abhängigkeit von Öl- und Gasexporten einzuleiten.

 

Die Krise in Russland: Wirtschaft Up-date

Die Krise der Russischen Föderation

Dr. Stanislava Brunner, Vorstandsmitglied FOW                                        Zürich 25.1.2015

Die aktuelle kritische Wirtschaftslage in Russland ist nicht primär Folge von Aussenfaktoren wie den EU- und US- Sanktionen sowie dem Ölpreiszerfall. Diese haben nur die Defizite freigelegt:  die strukturellen Schwächen als Folge von anhaltender Fokussierung auf Energieexporte und einer sehr kurzfristigen Orientierung der quasi Staatsfirmen auf schnelle Gewinne. Langfristige Investitionen in die Modernisierung und  Diversifizierung der Wirtschaft sind nach wie vor ungenügend.

Aktuelle Lage:

Schon vor  dem Ölpreiszerfall schwächelte die russische Wirtschaft, mit einem BIP Wachstum in 2013 von nur 1.8 %. Für 2014 wird ein Einbruch zwischen 3% und 5% erwartet. Im Dezember 2014 verschärfte sich die Situation drastisch. Der Rubel verlor in kurzer Zeit rasant an Wert, parallel zu dem ins bodenlose sinkenden Ölpreis.

Im Jahresverlauf 2014 hat die russische Währung 46% gegenüber US$ eingebüsst und der Ölpreis Marke Brent – im Juni noch bei 107.7 $/Fass – sank um 48%. Am Jahresanfang 2015 setzte sich die Schwächephase des Rubels fort und der Ölpreis sank unter 50$/Fass, auf ein 6-Jahrestief (siehe die parallele Bewegung in Graphik 1.)  Im Staatsbudget 2014 wurde noch mit einem Preis vom 100$/Fass und einem Rubel/Dollar Wert von 37,70 kalkuliert. Gegenwärtig schwankt der Kurs um 64 Rbl/$.

Die Zentralbank hat  immer wieder (im März nach der Kreml Invasion, in  Oktober, im Dezember..) zur Stützung der Währung interveniert, insgesamt mit ca. 87 Mrd. $ in 2014. Die Währungsreserven sind im Jahresverlauf  von 450 Mrd. $ auf 379.4 Mrd. $ heute gesunken. Ein Teil dieser Reserven ist in dem Reserve- sowie dem Wohlfahrtsfonds angelegt, dessen Mittel nun für finanzielle Assistenz an in Liquiditätsnot geratenen Grossfirmen und Banken verwendet werden. Es wird geschätzt, dass ohne diese Fonds die verfügbare Reserven nur bei 150 Mrd. $ liegen.

Parallel zu dem Schwund der offiziellen Reserven erreichte die Kapitalflucht (= Netto Kapitalabfluss) 2014 die Höhe von 150 Mrd. $. Zwar weist die Ertragsbilanz dank der radikalen Kürzung der Importe einen Überschuss auf, der jedoch die Kapitalabflüsse nicht kompensieren kann. Als Gegenmassnahme hat die Zentralbank in mehreren Schritten den Leitzins um 11% auf 17 % erhöht.

Wie geht es weiter?

Die Verteuerung der Investitionen, Hand in Hand mit dem erschwerten Zugang zu den internationalen Finanzmärkten als Folge der EU- und US- Sanktionen, dürfte zur drastischen Reduktion der Investitionstätigkeit führen. Die Konsumenten werden ihrerseits den Konsum einschränken, denn die Inflation stieg auf 11.4 % am Jahresende und es wird mit einer Steigerung auf 15-17% im weiteren Jahresverlauf 2015 gerechnet – insbesondere wegen der als Retorsionsmassnahme verhängten Importbeschränkung, vor allem von Lebensmitteln. Der Wachstumseffekt der Importsubstitution durch die Erhöhung der inländischen Produktion dürfte jedoch gering bleiben.

Eine Rezession wird unausweichlich. Gleichzeitig verschärft sich die Situation im Bankensystem. Höhere Refinanzierungskosten und ausstehende Fremdwährungskredite dürften zur Zunahme der faulen Kredite führen und belasten die Bilanzen. Die staatliche Unterstützung von schwächelnden Banken liegt gegenwärtig in der Grössenordnung von 2% des BIP. Weitere Schritte, den Banken Zugang zum Kapital zu erleichtern, sind in der Pipeline.

Angesichts der engen Korrelation der Rubel- und Ölpreisentwicklung ist  die wichtigste Frage:

Was macht der Ölpreis?

Vorerst ist keine Trendwende in Sicht.  Mitte Januar schien es, dass der Ölpreis Marke Brent mit 50$/Fass den Boden gefunden hat. Dann hat Irak die Produktion stark erhöht, während Russland in Dezember mit 10.67 Mio. Fass pro Tag den postsowjetischen Rekord erreicht hatte. Die Internationale Energieagentur geht von einem nur geringfügig kleineren Angebot in den nächsten 6 Monaten aus. Entscheidend ist, dass vor allem die Schiefergasförderer in den USA bei diesem Preisniveau ihre Investitionen zurückfahren. Doch eine Preiserholung kann erst verzögert wahrgenommen werden wegen grosser Lagervorräte. Immerhin ist eine voraussichtliche Steigerung auf 60-70$/Fass am Ende 2015 realistisch.

Weil Russland so abhängig ist von den Rohstoffpreisen – zwei Drittel der Exporteinnahmen stammen aus Öl- und Gasexporten und dieser Anteil ist ständig von 50% der Exporte im Jahr 2000 gestiegen – bleibt die Lage volatil, abhängig von geopolitischen Faktoren.

Graphik 2: Historische Ölpreisentwicklung im Kontext des weltpolitischen Geschehens

 

Quelle: Bloomberg data

Das Staatsbudget gerät unter Druck: Weil bei einem Ölpreis von nur 50$/Fass ein Einnahmenrückgang von ca. 45 Mrd. $ zur Folge hätte, sollen Staatsausgaben – ausser für die Verteidigung, 2015 um 10% gekürzt werden.  2014 wurde das Militärbudget auf 69 Mrd. $ erhöht, in 2015 sollen die Verteidigungsausgaben auf 84 Mrd. $ steigen. Mit einem anspruchsvollen Modernisierungsprogramm der Armee (bis 2016 auf 21% der Totalausgaben), muss in anderen Bereichen gespart werden. Das Gesundheits- und Bildungswesen muss wieder zurückstecken. Doch droht 2015 ein Budgetdefizit von bis zu 3% des BIP. Dieses soll aus dem  Reservefonds finanziert werden, nachdem im ersten Quartal zuerst die Banken rekapitalisiert worden sind. Weil die Fondsgelder in Fremdwährungsanlagen investiert waren, ist deren Rubelwert bis zu 70 % 2014 gestiegen und kann auch für Fiskalzwecke verwendet werden

Fazit

Lange wurde mit den hohen russischen Währungsreserven argumentiert als einem sicheren Anker.   Doch auch wenn ein Staatsbankrott* voraussichtlich abgewendet werden kann (und – kurzfristig –  eine Entspannung der Lage durch die Vorauszahlung für russische Exporte aus China eintritt), „kaufen“ die  Reserven nur Zeit. Strukturreformen und der Aufbau von Vertrauen sind eine längerfristige Aufgabe. Es scheint nicht, dass Putin in dieser Richtung arbeitet. Er setzt eher auf die militärische Karte. Die aussenwirtschaftliche Aktivität der russischen Führung, gerichtet auf Gewinnung neuer Märkte, kann nicht kurzfristig Früchte tragen. Schwer vorauszusagen, wie lange die Bevölkerung, welche ein sinkendes Realeinkommen in Kauf nehmen muss, Putin die Stange hält.

 

*Nachsatz: Die Ratingagentur Standard & Poor‘s hat am 26.1.2015 die Kreditwürdigkeit Russlands auf Ramschniveau (BB+) herabgestuft. Somit wird die Wahrscheinlichkeit höher eingestuft, dass Staatsanleihen Russlands nicht bedient werden können.