Sanktionen ?

Ein Kommentar von Dr. Georg J. Dobrovolny, Bern

Die Sanktionen hatte der Westen als Massnahme gegen die Okkupation der Krim ergriffen, um die Kreml-Herren von weiteren Eroberungsabsichten abzuhalten. Die Sanktionen wirken allerdings eher kontraproduktiv, werden sie jedoch geschickt in die Propaganda eingeflochten und dienen dem Kreml als Ausrede bzw. Begründung für die wirtschaftliche Rezession. Es wäre an der Zeit, diese Massnahmen zu überdenken, evtl. aufzuheben.

Mehr dazu siehe Studien des Vienna Institute for International Economic  www.wiiw.ac.at/

 

Wirtschaftslage Ukraine Update Feb 2016

Die Wirtschafslage in der Ukraine bleibt angespannt

Dr. Stanislava Brunner , Vorstandsmitglied Forum Ost-West                                                Februar 2016

Ukraine ist nach wie vor im Kriegszustand. Putin ist es gelungen, menschliche und materielle Ressourcen im Osten der Ukraine zu binden, aber das Land nicht völlig zu destabilisieren. Doch wenn die Ökonomen von Zeichen wirtschaftlicher Stabilisierung reden, wenn das BIP (Bruttoinlandsprodukt) im 3. Quartal auf Jahresbasis „nur“ um 7.2% zurückging, nach einer Kontraktion von 14.6% im 2. Quartal, wird das Ausmass der Probleme deutlich. Immerhin  ergab sich in den letzten zwei Quartalen jeweils im Vergleich zum Vorquartal  ein positives Wachstum. Die Exporte gingen „nur“ um 11.3 % zurück gegenüber dem Vorjahr (im 2. Qu. -22.5%). Auch der Rückgang des privaten und öffentlichen Verbrauchs verlangsamte sich deutlich.

Der Anstieg der Konsumentenpreise von 24% im Durchschnitt 2014 wurde 2015 allerdings mit 44 % übertroffen. Einerseits ist dies auf die die sukzessive Liberalisierung der Energiepreise zurückzuführen, andererseits auf den  Zerfall der Währung (50%  Abwertung der Hryvnia in 2015), und den  lockeren  Kurs der Zentralbank. Immerhin ist der Teuerungstrend  sinkend: nach 60% p.a. noch im April 2015, werden Ende Januar 2016 38 % vorausgesagt. Der Leitzins bleibt jetzt unverändert bei 22 %.

Zweifellos ist die geographische Umstellung des Aussenhandels – weg von Russland hin zur EU – schwierig. Ukrainische Exporte nach Russland gingen von Januar bis September 2015 um 55% zurück, die Importe um 48%. Trotzdem bleibt Russland mit 12.8% der Gesamtexporte  und 20% der Gesamtimporte der wichtigste Handelspartner, gefolgt von der Türkei mit 7.3% der Exporte. Insgesamt stieg der Anteil von Europa als auch der von Asien auf je 30%. Das Ertragsbilanzdefizit verringerte sich im Laufe von 2015 deutlich, im 4.Quartal wurde gar ein Überschuss erreicht. Die ungünstige Preisentwicklung für ukrainische Exportgüter wie Stahl, Metalle und landwirtschaftliche Produkte wurde kompensiert  durch die tieferen Importpreise für Energie.

Dank der finanziellen Unterstützung durch den IWF (Internationalen Währungsfonds) von 6.7 Mrd. $ in 2015 und dem nur moderaten  Kapitalabfluss sind die Währungsreserven bis Januar 2016 auf 13.4 Mrd. $ angestiegen. Ihre weitere  Zunahme hängt vom IWF ab, welcher wegen der ungenügenden Umsetzung der politischen und wirtschaftlichen Reformen sowie der gegenwärtigen Regierungskrise die nächste Kredittranche von 1.7 Mrd. $ noch zurückhält.

Die erste Bedingung, eine Einigung mit ausländischen Gläubigern, wurde im Dezember erfüllt, als diese einem Schuldenschnitt von 20 % zugestimmt haben. Dann bremste die Diskussion über eine Steuerreform, bzw. die angepeilte Höhe des Budgetdefizits für 2016 die Auszahlung. Nachdem das Parlament ein Defizit von 3.5% des BIP verabschiedet hatte (Vorjahr 4.2% BIP), spitzte sich mit dem Rücktritt des Wirtschaftsministers die politische Krise zu. Die Unklarheit über eventuelle vorzeitige Neuwahlen verstärkt die Unsicherheit.

Die 3 Mrd. $ Bondschulden an Russland, aufgenommen unter dem prorussischen Präsidenten Janukowitsch, sind nach wie vor umstritten. Ukraine ist nicht gewillt, die Ende Dezember 2015 fälligen Schulden  zurückzuzahlen, und Russland hat keinem Schuldenschnitt  zugestimmt. Nun  sucht Russland nun eine rechtliche Lösung vor einem Londoner Gericht.

Aussichten

Für 2016 liegt die Wachstumprognose der Weltbank bei 1.1%. Das globale Umfeld mit den tiefen Rohstoffpreisen und die neuen Restriktionen durch Russland wirken bremsend. Die Teuerung dürfte weiter zurückgehen auf 23% im Jahresdurchschnitt, vor allem wegen dem Wegfall der administrativen Preiserhöhungen und der Stabilisierung der Währung. Allerdings können ein weiteres Aufflackern der Konflikte im Osten des Landes sowie das Anhalten der politischen Krise den Währungsverfall beschleunigen.

Das Ertragsbilanzdefizit dürfte wieder ansteigen auf 3% des BIP als Folge der weiterhin schwachen Preise für Metalle und der russischen Import- und Transitrestriktionen. Ohne die vom IWF geforderten Reformfortschritte  vor allem bei der Korruptionsbekämpfung und der Privatisierung wird die  Unsicherheit über weitere Kredithilfen des IWF auch weitere Finanzhilfen blockieren. Insgesamt wurden für 2016 9 Mrd. $ zugesagt: vom IWF 4.5 Mrd. $, von der EU 1.5 Mrd. $ und 1 Mrd. $ Kreditgarantie von den USA.)

Chancen öffnen sich durch die vom 1.1. 2016 an vollständige Umsetzung des Freihandelsabkommens mit der EU.  Der Abbau der Zölle und der nichttarifären Handelshemmnisse  gilt nun für beide Seiten. Durch die Annäherung der technischen und rechtlichen Standards wird Ukraine für ausländische Investoren attraktiver.

Die Risiken liegen gegenwärtig vor allem im politischen Umfeld. Auch dürfte die Geduld der Bevölkerung nach den bisherigen Einschnitten in den Lebensstandard bald erschöpft sein, wenn keine Besserung sichtbar wird.

Putins syrischer Krieg versus die Untätigkeit Obamas

Putins syrischer Krieg versus die Untätigkeit Obamas: mögliche Folgen

Prof. Dr. Albert A. Stahel 12. Februar 2016

Schrittweise baut Wladimir Putin in Syrien seine Luftreitmacht aus. Seit anfangs Februar 2016 sollen auf dem Fliegerstützpunkt Bassel al-Assad modernste Abfangjäger Su-35 stationiert sein.[1] Diese Abfangjäger werden für den Begleitschutz der Jagdbomber Su-24 und Su-34 bei ihren Bombardierungen eingesetzt. Den Fliegerabwehrschutz der russischen Stützpunkte erbringt das wirksame Boden-Luft-System S-400 Triumf, das Russland aufgrund des Abschusses eines Su-24 durch einen türkischen Abfangjäger F-16 nach Syrien verlegt hat. Der Zielerfassung in der Luft dient ein Aufklärungs- und Fliegerleitflugzeug A-50 Mainstay (Airborne Early Warning and Control Aircraft, AEW&C). Mit diesen Mitteln und Kampfflugzeugen ist die russische Luftstreitmacht gegenüber möglichen Interzeptionen seitens türkischer und saudischer Abfangjäger geschützt

Mit den Flächenbombardierungen, die indiskriminierend gegen die Zivilbevölkerung und Kämpfer der Opposition erfolgen, begeht der russische Präsident gemäss den Genfer Konventionen selbst ein Kriegsverbrechen, für das er sich allerdings mit Sicherheit nie wird verantworten müssen.

Dem syrischen Drama mit den hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen schauen der US-Präsident Barack Obama und sein Aussenminister John Kerry nach wie vor untätig zu. Die einzigen Aktivitäten gegenüber diesen Kriegsverbrechen ist ein verbales Lamentieren seitens der in Washington DC regierenden Administration. Offenbar übersehen die USA, dass die Kriegführung von Putin in Syrien ein Probegalopp für eine Eroberung des Baltikums sein könnte und dass der russische Präsident seine politischen Folgerungen angesichts der Untätigkeit Obamas und seines Kabinetts bereits gezogen hat. Für die Konzipierung eines Angriffs auf die drei baltischen Republiken dürften Putin und sein Verteidigungsminister aufgrund der Erfahrungen mit ihrer konventionellen Kriegführung in Syrien bereits wichtige Lehren abgeleitet haben. Sowohl Obama wie auch die Führung der NATO haben offenbar nicht erkannt, dass Putin in Syrien einen wirklichen und keinen hybriden Krieg führt, und dass Kremls-Truppen die eigentliche Bedrohung für die USA und ihre Alliierten in Europa sein dürften.[2]

[1] STRATFOR, In Syria, Russia Protects Its Interests From Above and Below, February 10, 2016, 09.00.

[2] Barnes, J.E., NATO Plans to Place Troops on Borders, in: The Wall Street Journal, February 11, 2016, P. A3.

So auch Grady, J., National Intelligence Director Clapper: ISIS ‘Most Significant’ Non-State Threat to U.S., Allies, in: U.S. Naval Institute, February 9, 2016, 05.36.

Gedanken zu Saudi-Arabien

Ich, Jürg Neuhaus, wollte schon früher etwas für den FOW-Blog über Saudi Arabien schreiben. Doch immer hat sich die Situation wieder verändert.

Als einer der in Jeddah (Saudi Arabien) über 20 Jahre gelebt und im Maschinenbau-Gewerbe gearbeitet hat, sehe ich doch recht grosse Probleme – wirtschaftlich als auch gesellschaftlich.

Schon vor Jahren, als der Ölpreis langsam zu sinken begann, berechneten Analysten die gefährliche Schwelle, für Saudi Arabien bei 100 USD pro Barrel. Heute sind es weniger als 30 USD. Im Iran wurden die Sanktionen aufgehoben, das heisst die Iraner werden auch noch Öl auf den Markt bringen, was den Preis weiter senken wird. All die Jahre habe ich für 1 Liter Benzin 49 Halala (12 Rappen) bezahlt. Vor kurzem wurde der Benzinpreis um 50 Halala erhöht. Also verdoppelt. Früher kauften wir pro Woche für ca. 100 Ryal Lebensmittel ein. Vor 2 Jahren, als ich das Land verliess, waren es 250 Ryal. Ca. 80% der Saudis arbeiten direkt oder indirekt beim Staat. Zudem ist praktisch alles in dem Land subventioniert (Wasser, Strom, Elektrizität etc). All das sind Unsummen welche aufgebracht werden müssen. Bleibt der Ölpreis tief oder sinkt er noch, sieht das nicht gut aus. Aber das ist erst der Anfang. Saudi Arabien ist noch ein reiches Land, doch der normale Bürger muss auch schauen, dass er über die Runden kommt.

Rund 27 Mio. Einwohner hat das Land. Wie viele Illegale weiss niemand. Da sind noch 8 Mio. Ausländer, ohne die das Land nicht funktionieren würde. Jedes Jahr kommen 600’000 Saudi- Schulabgänger auf den Arbeitsmarkt, aber alle wollen Manager werden, arbeiten will keiner, denn das ist Sache der Pakistanis oder Philippinos. So sind sie aufgewachsen- für alles gab es zu Hause eine Maid.

Die Jungen sehen aber per Internet, wie andere junge Leute ihres Alters im Westen leben: Man geht mit der Freundin in die Disco, ins Kino etc. aus. Nichts dergleichen gibt es in Saudi Arabien- gesellschaftlich ein riesiges Pulverfass.

Jetzt, wo sich die Amerikaner langsam aus Syrien verabschieden wollen, soll Saudi Arabien Bodentruppen nach Syrien schicken. In Jemen sind sie bereits in einen Krieg verwickelt. Allerdings weiss niemand, wie viele Söldner-Truppen dort kämpfen.

In der Saudischen Armee dienen Schiiten als auch Sunniten. Diese sollen jetzt gegen Ihresgleichen kämpfen, was in einen Bruderkrieg ausarten wird. Das heisst auch wegen den USA der ganze Mittleren Osten destabilisiert wird. Anderen wie Deutschland, Frankreich,  Saudi Arabien usw.  sollen jetzt die Drecksarbeit erledigen – den Islamischen Staat, der von den Amerikanern, mit dem Einverständnis des US-Kongresses aufgebaut wurde, sowie Al-Kaida und die anderen Terror-Organisationen bekämpfen. So was Absurdes soll man verstehen….

Wir, meine Frau und ich, haben uns in Saudi Arabien wohl gefühlt. Wurden immer und überall mit Respekt behandelt. Fühlten uns vor allem sicher. Ob bei Tag oder in der Nacht. Hier in der Schweiz musste ich erst lernen, dass man alles abschliessen muss. Vielleicht sollten einige der Medien erst mal ihre Kommentatoren in ein Land schicken um etwas über das Land und dessen Bevölkerung zu erfahren, bevor man grossartig Artikel schreibt und im Fernsehen Diskussionen führt.

Ich bin so weit gekommen, dass ich weder im Fernsehen die Kommentare oder die Tagesschau verfolge, noch die Zeitungen lese. In Ländern ausserhalb Europas wird jede Art von Presse-Einschränkung an die grosse Glocke gehängt. Doch hier in Europa frage ich mich allen Ernstes, wo die Pressefreiheit beginnt und wo sie endet.

Ost-West-Beziehungen

Die Ost-West-Beziehungen sind immer noch belastet. Das in den Jahren 1985- 2005 aufgebaute Vertrauen zwischen Washington und der Kreml-Führung ist dahin. In der Ostukraine – v.a. im Donbass – werden weiterhin Menschen getötet. Kritische Menschen werden von den “Separatisten“ drangsaliert. Keine Spur von einem Wiederaufbau, geschweige denn einer Versöhnung.

Aber auch die Entwicklungen in Polen und Ungarn zeigen, dass man sich dort in der neu gewonnenen Freiheit zwar in Bezug auf Konsum und Reisen eingelebt hat, jedoch im Denken der früheren Diktaturen verhaftet bleibt. Die Art und Weise, wie man miteinander, besonders im politischen Umfeld, umgeht, die florierende Korruption – auch in der Ukraine – und vor allem die fehlende Selbständigkeit vieler, die eine Rettung vom Staat bzw. dem „Westen“ erwarten, erschweren eine selbstbestimmte Entwicklung.

Umso wichtiger ist es, Menschen zu unterstützen, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind und wahrheitsliebend informieren und ev. berichten können.

Forum Ost-West

 

С Новым годом!

 Es ist Brauch in Russland, am Silvesterabend nicht nur das neue, beginnende Jahr zu feiern, sondern zuvor auch das alte, gehende Jahr zu verabschieden.

Dieses alte Jahr, dieses 2015 war kein ganz leichtes Jahr für viele Bürger und Bürgerinnen in Russland. Der Rubel hat weiter an Wert verloren, die Preise für viele Produkte sind gestiegen. Und auch auf dem Arbeitsmarkt ist es für viele nicht einfacher geworden.

Ich sitze mit Freunden in der Küche einer St. Petersburger Wohnung und wir verabschieden also dieses nicht ganz leichte Jahr. Wir trinken darauf, alles Schlechte in diesem alten Jahr zurückzulassen und darauf, dass das neue Jahr besser werden möge!

Ob die Aussichten für ein besseres 2016 jedoch realistisch sind? Wirtschaftliche und politische Prognosen sagen etwas anderes voraus. Es scheint mir aber an diesem festlich gedeckten Neujahrstisch und wenige Minuten vor Mitternacht nicht der richtige Zeitpunkt, um über die wirtschaftliche und politische Lage in Russland, über den tiefen Erdölpreis, über Sinn und Zweck der westlichen Sanktionen und russischen Gegensanktionen und über die nächsten Schachzüge der politischen Spitzen in Russland, den USA und Europa zu diskutieren.

Als aber im Fernsehgerät, welches in einer Ecke der Küche steht und fernab unserer Neujahrsfestlichkeiten im Hintergrund läuft, der Präsident der Russischen Föderation erscheint, um seine traditionelle Neujahrsrede zu halten, ist es dennoch soweit: Es geht nicht lange und ich als Westeuropäer werde über meine Ansichten zur russischen und westlichen Politik, zu diesen wieder erwachten Spannungen zwischen West und Ost befragt. Schnell entwickelt sich eine Diskussion, gehaltvoll, konstruktiv und – vor allem – ohne festgefahrene Fronten und Rollenverteilungen: Mal verteidigt der Westler den Osten, mal befürworten die Ostler die Politik des Westens. Nur beim 12. Glockenschlag halten wir kurz inne, um uns zu beglückwünschen und das neue Jahr willkommen zu heissen, was aber der Diskussion keinen Abbruch tut. Bis weit in die Nacht werden wir noch an diesem Küchentisch sitzen……

Was die Quintessenz der Diskussion war? Was inhaltlich festgehalten werden sollte? Ich weiss es nicht mehr, aber es ist für mich auch nicht wichtig! Wichtig ist für mich die Erkenntnis, dass jegliche Vorurteile und vorgefassten, festgeschriebenen Meinungen eine konstruktive Zusammenarbeit schon von Beginn weg ins Leere laufen lassen.

Eine differenzierte Diskussion aber, welche nicht geprägt ist von Vorurteilen und vorgefassten Meinungen, welche kritische sowie selbstkritische Inhalte fördert und nicht auf eine absolute Wahrheit mit nur einem gut und einem böse abzielt, wird dazu beitragen, sich gegenseitig zu verstehen und Lösungen zu finden.

Wenn dieses Verständnis des Dialoges in der Öffentlichkeit, den Medien und der Politik – sowohl im Westen als auch im Osten – geschaffen werden kann, dann habe ich durchaus Hoffnung, dass die Wünsche für ein besseres 2016 tatsächlich in Erfüllung gehen…..

……und dass der Begriff „Russlandversteher“ bald nicht mehr als Beleidigung aufgefasst werden muss: Sondern als positiven Ausdruck dafür, dass jemand gewillt ist, sein Gegenüber im Sinne eines besseren Zusammenlebens verstehen zu lernen.

28. Januar 2016, Alexander Siegenthaler

Zum Thema „Ost-West“ im neuen Jahr

Ein Beitrag von Georg Dobrovolny und Max Schmid:

GD: Die Ost-West-Beziehung ist stark belastet. Die Entwicklungen in Polen und Ungarn zeigen, dass man sich dort in der neu gewonnenen Freiheit zwar in Bezug auf Konsum und Reisen eingelebt hat, jedoch im Denken der früheren Diktatur verhaftet bleibt. Die Art und Weise, wie man miteinander besonders im politischen Umfeld umgeht, die florierende Korruption – auch in der Ukraine – und vor allem die fehlende Selbständigkeit vieler, die eine Rettung von aussen erwarten, verhindern die Weiterentwicklung.

Umso wichtiger ist es, Menschen zu unterstützen, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind und wahrheitsliebend informieren und ev. berichten können.

Max Schmid: 2015 war aus freiheitlicher Sicht kein besonders gutes Jahr im östlichen Europa. Putins Russland, Orbans Ungarn und neuerdings gar Kaczynskis Polen versuchten unverdrossen, das Rad der Zeit zurückzudrehen. 

Das Zündeln mit antidemokratischen Methoden in Polen und Ungarn ist ohne Zweifel gefährlich. Doch bleibt die Hoffnung, dass es – nicht zuletzt weil diese EU-Länder in eine grössere politische Union und die westliche Wertgemeinschaft eingebunden sind – beim Zündeln bleibt und kein Feuer entfacht wird.

Anders in Russland. 2015 wurde klar, dass die Krim-Annexion nicht einfach eine nationalistische Schlaumeierei war, über die man hinwegsehen kann, sondern der Anfang eines Irrwegs.

Das Ukraine-Abenteuer und der Syrienkrieg kosten das Land Unsummen, die es sich in Zeiten eines massiv gesunkenen Ölpreises schlicht nicht leisten kann.

Wer mit Russinnen und Russen in Kontakt ist, dem entgeht nicht, dass manche von ihnen in den letzten Monaten schweigsamer geworden sind. Wie jemand, der aus einem Rausch erwacht. Das Erwachen kann dauern. Putin hat noch eine Schonfrist. Aber langfristig hat das Remake von Zurück in die Zukunft („Die Zeit“), das Putin probt, keine Chance. Hinsehen, hinhören, im Gespräch bleiben sind jetzt wichtig  – ganz besonders für die Freunde Russlands.

Polen – Ungarn – EU: Bemerkungen

1. Man kann nur hoffen, dass die polnische Gesellschaft mental noch nicht soweit verseucht ist, wie die ungarische und die Werte der Demokratie eine tiefere Wurzel haben. Wir werden sehen.

2. Die EU kaempft mit unterschiedlichen Herausforderungen, deren Gewicht ich bei weitem nicht unterschaetzen möchte. Teilweise entstanden die Herausforderungen (oder wenigstens die kritische Masse der Herausforderungen) wegen Untaetigkeit, verspaeteter und lauwarmer Reaktionen, sowie institutioneller Maengel der EU-Behörden und der unterschiedlichen innenpolitischen Konstellationen einzelner Mitgliedstaaten. Gegen die bewusste Untergrabung demokratischer Grundwerte entschieden aufzutreten waere wenigstens eine solche Prioritaet wie die Rettung Griechenlands in der Eurozone. Langfristige Stabilitaet zu sichern heisst viel mehr als kurzfristiges (und bei weitem nicht immer erfolgreiches und nachhaltbares) Krisenmanagement.

  1. Wenn die EU hinsichtlich Polen weiterhin neutral oder nachgiebig bleibt, besteht die Gefahr einer „mitteleuropaeischen anti-EU-Koalition“ – mit unvorhersehbaren Folgen für die Zukunft Europas. Solange das einseitige und höchst egoistische Verhalten (keine Grundwerte, aber riesige EU-Finanzen) mancher Mitgliedstaaten folgenlos weitergeführt werden kann, wird sich die populistische, engstirnig innenpolitische anti-EU-Stimmung Tag für Tag verstaerken.
  2. Trotz der Aehnlichkeiten gibt es weiterhin zwei grundlegende Unterschiede zwischen der polnischen und ungarischen Prioritaeten. Einerseits das Verhaeltnis zu Russland, andererseits die Einstellung der Regierungen gegenüber der EU in der politischen Kommunikation (und Volksverdummung). Aus unterschiedlichen Gründen (z.B. Tusk als Praesident des Rates) ist Polen trotz aller Aeusserungen viel EU-freundlicher als die ungarische Regierung, deren anti-EU-Verhalten zur Ebene der offiziellen Politik aufgestiegen ist (in keinem anderen EU-Land kannst Du es finden).
  3. In einigen Tagen faehrt Orbán nach Polen, zu einem „inoffiziellen“ Besuch und zwar nicht nach Warschau, sondern in die polnischen Karpathen, wo er mit „hochrangigen Vertretern der Regierung“ zusammenkommt: Kaczynski, die Ministerpraesidentin, Minister, Kommunikationsleute… alles ist nur Raetsel. Warum eben inoffiziell, warum nicht Warschau?? Die Nachricht habe ich erst heute Vormittag gehört.

Noch ein Unterschied: Orbán hat(te) eine Zweidrittel-Mehrheit, die gegenwaertige polnische Regierung jedoch nicht. Deshalb laesst sich in Polen nicht alles mit „demokratischen Instrumenten“ durchsetzen.

Noch dazu: die polnische Opposition scheint viel staerker zu sein als die über mehrere Jahre verdummte ungarische Gesellschaft. Hoffentlich wird diese Opposition weiterhin stark bleiben.

Mit besten Grüssen aus Budapest, András Inotai, Dr. Prof.

2 Neujahrsreden: Putin und Schneider-Ammann

Heute möchte ich über einen Vergleich der Neujahrsansprachen von Bundes(rats)präsident Schneider-Ammann und Präsident Putin berichten. Es gibt unerwartet viele Parallelen:

Beide tragen einen schwarzen Mantel und ein weisses Hemd, Putin aber eine eher rote Krawatte, Schneider-Ammann eine blaue. Beide sind bleich und wirken etwas müde. Beide haben Jahrgang 1952. Die Dauer der beiden Neujahrsansprachen ist etwa gleich.

Putin (aus St. Petersburg) steht wie jedes Jahr vor dem Kreml. Putin begrüsst die verehrten russischen Bürger und lieben Freunde.

Schneider-Ammann (aus Sumiswald im Kanton Bern) steht am Rheinhafen in Basel! Schneider-Ammann begrüsst die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger.

Schneider-Ammann sieht die Schweiz als Insel umgeben von einer stürmischen Welt. Putin sieht Russland als Insel in einer stürmischen Welt.

Dann unterscheiden sich die Reden aber wesentlich.

Der erste Schwerpunkt der Rede von Putin ist der Dank an die vielen Menschen, die nicht mit ihren Familien feiern können, weil sie in Spitälern, der Industrie und im Militär arbeiten müssen. Sein besonderer Dank spricht er dem russischen Militär aus, dass im fernen Ausland (Syrien wird nicht ausdrücklich erwähnt) den internationalen Terrorismus bekämpft. Zweiter Schwerpunkt der Rede ist das 70. Jubiläum im Jahre 2015 des russischen Sieges im Grossen Vaterländischen Krieg. An der Stärke der russischen Grossväter sollen sich die Bürger Russlands ein Beispiel nehmen. Vereint müssen sich die russischen Bürger gegen die Bedrohungen aus dem Ausland verteidigen.

Wie Putin ruft auch Schneider-Ammann die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz angesichts der Bedrohungen aus dem Ausland zur Geschlossenheit auf. Der starke Franken, Terrorismus und Flüchtlingsströme drücken. Er sieht aber unsere Stärken in der Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und Offenheit der Schweiz. Das duale Bildungssystem, die niedrige staatliche Verschuldung, die niedrige Arbeitslosigkeit, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand werden vorteilhaft erwähnt. Schneider-Ammann glaubt offensichtlich, dass der Erfolg der Schweiz im System liegt und anhält, auch wenn er vor allem von innen gefährdet ist und das System geschützt werden muss.

Putin versprühte keinen Optimismus. Höhepunkt der Neujahrsansprache war die russische Hymne nach der Rede. Die Schweizer mussten im Vor- und Nachspann zur Neujahrsansprache von Schneider-Ammann Klänge hören, die eher komisch wirkten.

Daniel Marti